II. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012
3.2.1 Überblick über die Ergebnisse der Evaluation
Das Gutachten des Forschungsinstituts zur Evaluierung des IFG umfasst ca. 565 Seiten (Drucksache des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Drs. 17(4)522 B, 5,2 MByte), die Kurzzusammenfassung immerhin noch 23 Seiten (Drs. 17(4)522 A, 314 kByte), so dass ich schon aus Platzgründen die Ergebnisse des Gutachtens nicht in allen Einzelheiten darlegen kann. Ich will an dieser Stelle aber auf die für Sachsen-Anhalt relevanten Themen, die ich auch schon in meinem I. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit angesprochen hatte, eingehen.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes von den Bürgerinnen und Bürgern aktiv genutzt wird, es aber noch zahlreiche Möglichkeiten gebe, das Gesetz zu verbessern.
Eine Zusammenführung der Informationsfreiheitsgesetze (IFG, UIG, VIG), wie sie die Landesregierung auf Bitten des Landtages auch für Sachsen-Anhalt (IZG LSA, UIG LSA, VIG AG LSA) prüfen will, hält das Gutachten auf Bundesebene grundsätzlich für möglich. Es verweist aber darauf, dass es sich um eine politische Entscheidung handele, die der Gesetzgeber zu treffen habe (Drs. 17(4)522 B, S. 154, 5,2 MByte).
Darüber hinaus empfiehlt das Gutachten dringend, das Verhältnis bereichsspezifischer Normen zum allgemeinen Informationszugangsrecht zu klären. Es hält weitere Präzisierungen in den Fachgesetzen für sinnvoll und schlägt vor, die Fachgesetze auf das IFG verweisen zu lassen, um so friktionslose Informationszugangsrechte zu gewähren (Drs. 17(4)522 B, S. 157, 5,2 MByte).
Das Innenministerium hat in Abstimmung mit mir eine Überprüfung der Notwendigkeit des Fortbestehens bereichsspezifischer Normen bereits eingeleitet (vgl. Nrn. 5.3.3 und 5.4.3 dieses Tätigkeitsberichts). Ziel der Überprüfung ist jedoch primär die Reduzierung vorhandener spezialgesetzlicher Regelungen zugunsten des allgemeinen Informationszugangsrechts. Die Idee, das Verhältnis der Fachgesetze zum IFG des Bundes bzw. zum (IZG LSA durch Verweisungen in den Fachgesetzen auf das allgemeine Informationsfreiheitsrecht zu regeln, stellt eine überlegenswerte Alternative dar.
Wie nicht anders zu erwarten, kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Ausschlussgründe des Gesetzes unsystematisch geregelt und zum Teil sogar überflüssig sind. Es empfiehlt daher eine Überarbeitung, insbesondere eine Anpassung und Harmonisierung der Ausschlussgründe. Auf zwei Gesichtspunkte möchte ich explizit hinweisen:
So befürwortet das Gutachten es ausdrücklich, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht mehr absolut zu schützen, sondern ihre Preisgabe von einer Güterabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit abhängig zu machen; die in Berlin und Bremen hierzu bereits ergangenen Regelungen werden ausdrücklich empfohlen (Drs. 17(4)522 A, S. 13, 314 kByte). Das Gutachten greift damit eine Empfehlung auf, die ich für Sachsen-Anhalt in meinem I. Tätigkeitsbericht unter Nr. 2.4.3. bereits erhoben hatte.
Ferner hat sich das Gutachten explizit für die Einführung eines sog. public interest test, also einer allgemeinen Abwägungsklausel, ausgesprochen, mit der im Rahmen einer Güterabwägung entschieden wird, ob eine Information, die eigentlich einem Ausschlussgrund unterliegt, wegen des Öffentlichkeitsinteresses nicht doch ausnahmsweise preisgegeben werden kann. Der internationale Vergleich zeige, dass Klauseln zur Abwägung zwischen Informationsinteresse und den zu schützenden öffentlichen Belangen vorhanden und im Wesentlichen praktikabel seien (Drs. 17(4)522 A, S. 11, 314 kByte).
Darüber hinaus hat das Gutachten festgestellt, dass in jedem dritten Fall die gesetzlich vorgesehenen Bearbeitungsfristen nicht eingehalten wurden und eine Straffung des Verfahrens mit einer neuen Fristenregelung angeregt. Auf die Problematik hatte ich in meinem I. Tätigkeitsbericht unter Nr. 4.5. bereits aufmerksam gemacht. In Anlehnung an § 42a Abs. 2 VwVfG schlägt das Gutachten als Lösungsmöglichkeit z. B. vor, die Bearbeitungsfrist durch die Behörde auf maximal drei Monate zu verlängern, wenn dies durch den Umfang des begehrten Informationszugangs gerechtfertigt ist, wobei eine Arbeitsüberlastung der Behörde außer Betracht zu bleiben hat (Drs. 17(4)522 A, S. 15, 314 kByte).
Auch die Thematik des Kostenrechts wird in dem Gutachten angesprochen. Während ich in meinem I. Tätigkeitsbericht vorgeschlagen hatte, nach britischem Vorbild eine grundsätzliche Kostenfreiheit des Informationszugangs einzuführen, bei gleichzeitiger voller Kostenpflichtigkeit besonders aufwendiger Anfragen (vgl. Nr. 7.4. des I. Tätigkeitsberichts), geht das Gutachten sogar noch einen Schritt weiter. Die Forscher schlagen nämlich eine Kostenregelung analog zu Verfassungsbeschwerden vor. Damit sind Anfragen grundsätzlich kostenfrei, also auch die aufwendigen Anfragen. Kostenpflichtig wären demnach nur noch missbräuchlich gestellte Anträge.
Noch zu schwach ausgefallen ist dem Gutachten zufolge die Pflicht der Verwaltung, von sich aus der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei käme einer solchen "proaktiven" Informationspolitik eine Scharnierfunktion zwischen übergreifenden Richtlinien zu "Open Government" und "Open Data" und den Informationsansprüchen der Einzelnen zu. Die Frage nach der richtigen Open-Data- bzw. Open-Government-Strategie sei allerdings eine politische Entscheidung, die der Gesetzgeber zu treffen habe (vgl. hierzu auch Nr. 9 dieses Tätigkeitsberichts).
Besonders erfreulich ist auch, dass sich das Gutachten für die Einführung eines behördlichen Informationsfreiheitsbeauftragten ausgesprochen hat. Eine solche Empfehlung habe ich auch den Behörden des Landes Sachsen-Anhalt gegeben (vgl. auch Nr. 6.12 dieses Tätigkeitsberichts).
Ein besonderes Augenmerk hat das Gutachten ferner auf die Stellung des Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit geworfen. Es kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass sich die Einrichtung als solche bewährt habe und empfiehlt ausdrücklich eine Erweiterung seiner Kompetenzen. Es erscheine sinnvoll, seinen Aufgabenbereich von der Überwachung der Einhaltung des IFG auf die Kontrolle anderer bundesrechtlicher Vorschriften über die Informationsfreiheit zu erweitern.
In Bezug auf das parallele Bestehen der außergerichtlichen Streitschlichtung im Wege der Anrufung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und der Rechtsbehelfsverfahren könnten aufgetretene Unklarheiten hinsichtlich seiner Rolle in anhängigen Rechtsbehelfsverfahren dadurch beseitigt werden, dass diesem in solchen Konstellationen ein dem Vertreter des Bundesinteresses nach § 35 VwGO ähnliches Beteiligungsrecht in Rechtsbehelfsverfahren eingeräumt wird. Dadurch könnte zugleich sichergestellt werden, dass die besondere Sachkunde des Bundesbeauftragten bei der Entscheidung berücksichtigt werde. Solche Überlegungen sollten auch in Sachsen-Anhalt angestellt werden.