II. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012
6.8.1 Zugang zu Sitzungsunterlagen
Eine Stadt hatte mich um Prüfung gebeten, ob ein sachkundiger Einwohner neben dem aus § 51 Abs. 4 Satz 3 Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA) folgenden kommunalrechtlichen Anspruch auf Übersendung der Sitzungsunterlagen für den beratenden Ausschuss, dem er angehört, nach dem IZG LSA auch einen Anspruch auf Zurverfügungstellung aller anderen Sitzungsunterlagen des Stadtrates besitzt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser bisher noch wenig erforschten Materie hatte sie mich um möglichst klare und praktikable Hinweise zum Verfahren ersucht.
Unter allgemeinen systematischen Gesichtspunkten ist zunächst festzustellen, dass es sich bei dem Informationszugangsanspruch nach dem IZG LSA um einen Jedermann-Anspruch handelt, auf den sich folglich auch der sachkundige Einwohner, der nach § 48 Abs. 2 Satz 1 GO LSA zum Mitglied eines beratenden Ausschusses berufen wurde, unabhängig von seinem kommunalrechtlichen Status berufen kann. Demnach ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Antragsteller aus seinem kommunalrechtlichen Status als sachkundiger Einwohner nach der GO LSA, als Einwohner der Gemeinde nach der GO LSA oder als Jedermann nach dem IZG LSA Zugang zu amtlichen Informationen begehrt.
Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GO LSA können durch den Gemeinderat in beratende Ausschüsse sachkundige Einwohner widerruflich als Mitglieder mit beratender Stimme berufen werden. In diesem Fall hat der sachkundige Einwohner gem. §§ 52 Abs. 2 Satz 1, 51 Abs. 4 Satz 1 GO LSA i. V. m. § 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm die für die Ausschussberatungen notwendigen Unterlagen beigefügt werden. Nach § 51 Abs. 4 Satz 4 GO LSA kann von der Übersendung lediglich dann abgesehen werden, wenn das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen. Die Übersendung der Unterlagen hält die Rechtsprechung für erforderlich, wenn die Dokumente zur Meinungsbildung nötig sind und der zu erörternde Sachverhalt von seinem Schwierigkeitsgrad einer derartigen Vorabinformation bedarf (OVG Münster, NVwZ-RR 1989, S. 155 f.). Dann besitzen die Mitgliedern des Gremiums sogar einen Rechtsanspruch auf Übersendung der Unterlagen (OVG Münster, a. a. O.). Vor diesem Hintergrund dürfte für einen sachkundigen Einwohner grundsätzlich kein Bedürfnis bestehen, hinsichtlich der Unterlagen des Ausschusses, dem er angehört, einen Informationszugangszugangsanspruch nach dem IZG LSA geltend zu machen.
Ist der Antragsteller weder Mitglied des Stadtrates noch anderer Ausschüsse, scheiden organschaftliche Informationsrechte hinsichtlich solcher Sitzungsunterlagen aus. In Betracht kommen aber Informationszugangsrechte aus dem Einwohnerstatus des Antragstellers sowie als Jedermann nach dem IZG LSA, auf dessen Darstellung ich mich hier beschränken möchte.
Ob das IZG LSA in der vorliegenden Fallkonstellation überhaupt anwendbar ist, ist eine Frage des Konkurrenzverhältnisses. Nach § 1 Abs. 3 IZG LSA gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen vor. Das hier vor allem zu erörternde Verhältnis der Informationsfreiheitsgesetze der Länder zu den Vorschriften der Gemeindeordnungen der Länder ist rechtlich weitgehend ungeklärt. Insbesondere können die Kommunen hier regelmäßig noch nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung zurückgreifen, da eine solche zumeist noch nicht existiert (vgl. auch Nr. 5.15. meines I. Tätigkeitsberichts zur Informationsfreiheit).
Als mögliche vorrangige Regelungen kommen insbesondere die erwähnten Vorschriften über die Übersendung von Sitzungsunterlagen gem. § 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA, über die Öffentlichkeit von Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse gem. § 50 Abs. 1 GO LSA, über den Ausschluss der Öffentlichkeit gem. § 50 Abs. 2 GO LSA sowie über die Einsichtnahme in die Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen durch Einwohner gem. § 56 Abs. 3 GO LSA in Betracht.
§ 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA stellt keine vorrangige Informationszugangsregelung i. S. d. § 1 Abs. 3 IZG LSA dar. Aus der Vorschrift über die Versendung von Sitzungsunterlagen an die Gemeinderäte oder die Ausschussmitglieder nach § 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA lässt sich daher nicht folgern, dass Sitzungsunterlagen nur den Mitgliedern des Gemeinderates oder seiner Ausschüsse zur Verfügung gestellt werden dürfen. Das ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass in § 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA nur körperschaftsinterne organschaftliche Rechtsbeziehungen, nicht aber der Zugang zu Informationen der Gemeinde durch gemeindeexterne Dritte geregelt werden (vgl. auch Franßen/Seidel, Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, § 4 Rn. 512 f. zu den ähnlich gelagerten Informations- und Auskunftsrechten der Gemeinderäte und den korrespondierenden Unterrichtungspflichten des Bürgermeisters).
§ 50 Abs. 1 GO LSA, der bestimmt, dass die Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse öffentlich sind, ist ebenfalls keine vorrangige Informationszugangsregelung. Die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Kommunal-, aber auch im öffentlichen Bau- und Planungsrecht gewährleisten lediglich ein Mindestmaß an Unterrichtung der Öffentlichkeit und wollen regelmäßig nicht einen weitergehenden Informationszugangsanspruch nach anderen Vorschriften ausschließen (vgl. Franßen/Seidel, Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, § 4 Rn. 517 f. zu den vergleichbaren Öffentlichkeitsvorschriften im Bau- bzw. Planungsrecht). Zu beachten ist im Übrigen auch, dass § 50 Abs. 1 GO LSA nur die Teilnahme an der Sitzung, also das Zuhören und Zusehen ermöglicht und damit dem Teilnehmer auch keinen direkten Zugang zu amtlichen Informationen, d. h. zu den Aufzeichnungen i. S. d. § 2 IZG LSA, gewährt.
§ 50 Abs. 2 GO LSA, der regelt, unter welchen Voraussetzungen die Öffentlichkeit von den Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse auszuschließen ist, stellt nach einer der wenigen Entscheidungen der Rechtsprechung zum Verhältnis der Informationsfreiheitsgesetze zu den Gemeindeordnungen der Länder keine vorrangige Informationszugangsreglung dar (vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Mai 2006, Az.: 8 A 1642/05, Rn. 60; vgl. auch Beschluss des BVerwG vom 22. Mai 2007, Az.: 7 B 1/07). Die Rechtsprechung beruft sich dabei darauf, dass die Nichtöffentlichkeit der Rats- und Ausschusssitzungen allein die Vertraulichkeit der Beratung gewährleisten soll, weshalb sich der Schutz nicht auf das Beratungsergebnis und die Beratungsgrundlagen erstreckt. Für die Frage des Anwendungsbereichs des IZG LSA spielt es daher keine Rolle, ob die Sitzungsunterlagen für die Verhandlung in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Sitzung bestimmt sind.
Ist das IZG LSA anwendbar, dann hat gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 IZG LSA jeder nach Maßgabe des IZG LSA einen Anspruch auf Zugang zu (vorhandenen) amtlichen Informationen gegenüber den in § 1 genannten Adressaten des Gesetzes. Das bedeutet, dass ein Anspruch auf Auskunft grundsätzlich zu bejahen ist und nur dann abgelehnt werden darf, wenn sich ein gesetzlich geregelter Versagungsgrund finden lässt (Regel-Ausnahme-Verhältnis).
Sitzungsunterlagen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse sind grundsätzlich amtliche Informationen i. S. d. § 2 Nr. 1 IZG LSA. Damit sind sie einem Informationszugang zugänglich, sofern kein Ausschlussgrund i. S. d. IZG LSA vorliegt. Ein Informationszugangsanspruch kann daher nicht mehr unter dem Hinweis abgelehnt werden, dass es sich generell um interne Ausarbeitungen der Verwaltung für den Gemeinderat und seine Ausschüsse handele, da dies eine Berufung auf den nicht mehr geltenden Grundsatz der allgemeinen Amtsverschwiegenheit wäre. Ob und inwieweit tatsächlich ein Informationszugangsanspruch nach Maßgabe des IZG LSA besteht, dürfte in erster Linie vom behandelten Gegenstand der Sitzung und damit vom Einzelfall abhängen.
In meinem I. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit habe ich unter Nr. 5.15. darauf verwiesen, dass insbesondere die §§ 3 bis 6, 9 Abs. 2 IZG LSA einen ausreichenden Schutz für die berechtigte Geheimhaltung der in der Gemeinderatssitzung gem. § 50 Abs. 2 GO LSA unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten Themen und Unterlagen bieten. Zur Vertiefung gebe ich hier nur einige, nicht abschließend aufgezählte Beispiele: So wird das in § 50 Abs. 2 GO LSA genannte öffentliche Wohl von dem Schutz besonderer öffentlicher Belange i. S. d. § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 11 IZG LSA erfasst, zu denen insbesondere der Schutz der öffentlichen Sicherheit, der Schutz der behördlichen Beratungen oder aber auch der Schutz der fiskalischen Interessen im Wirtschaftsverkehr einer Gemeinde zählen. Die in § 50 Abs. 2 GO LSA aufgeführten berechtigten Interessen Dritter werden z. B. vom Schutz personenbezogener Daten, dem Schutz von geistigem Eigentum oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen erfasst. Personalangelegenheiten bleiben auch nach dem IZG LSA über das Personalaktengeheimnis als besonderem Amtsgeheimnis i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 IZG LSA geschützt. Dementsprechend habe ich in meinem I. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit darauf hingewiesen, dass das IZG LSA ein der GO LSA entsprechend hohes Schutzniveau besitzt.
Unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten ist anzumerken, dass eine Informationszugangsgewährung immer nur auf Antrag erfolgen kann, vgl. § 7 Abs. 1 IZG LSA. Ein entsprechendes aus § 51 Abs. 4 Satz 3 GO LSA folgendes antragsunabhängiges Informationsrecht, das mithin auf die Übersendung zukünftig erst noch entstehender Informationen gerichtet ist, kennt das grundsätzlich kostenpflichtig durchzuführende IZG LSA nicht. Ist zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Informationszugangsgewährung die begehrte Information nicht vorhanden, muss der Antrag abgelehnt werden. Ein Antrag, der auf die Übersendung von Informationen gerichtet ist, die in der Zukunft erst noch generiert werden müssen, läuft damit insoweit regelmäßig ins Leere. Da die h. M. in der Literatur davon ausgeht, dass ein alter Informationszugangsantrag nicht wieder auflebt, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Information bei der Behörde vorhanden ist (Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 1. Auflage 2008, § 4 Rn. 40), muss ein Antragsteller hinsichtlich derjenigen Informationen, die er (noch) nicht erhalten hat, einen neuen Informationszugangsantrag stellen.
Die Frage, ob ein Antragsteller vor oder regelmäßig erst nach einer Gemeinderatssitzung Zugang zu Sitzungsunterlagen erhalten wird, lässt sich daher nur bedingt beantworten. So wird ein Informationszugang vor den Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse möglich sein, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt wurde, keine Ausschlussgründe vorliegen und keine Belange Dritter tangiert sind, so dass ein Drittbeteiligungsverfahren nicht durchgeführt werden muss. Das kann z. B. für Gutachten gelten, die für die Verwaltung erstellt wurden. Sind dagegen komplexe Ausschlussgründe zu prüfen und Belange Dritter betroffen, dürfte es zu einer Entscheidung der Behörde über den Antrag schon wegen der ihr zuzubilligenden Bearbeitungsdauer sowie den von ihr einzuhaltenden Vorschriften über die Beteiligung Dritter in der Praxis erst nach der anberaumten Sitzung kommen.
Das zuvor geschilderte Verwaltungsverfahren sowie der hohe Gebührenrahmen für die Durchführung des IZG LSA werden in der Praxis eher dazu führen, dass interessierte Bürger lediglich zu einzelnen, ausgewählten Sitzungsunterlagen Informationszugangsbegehren stellen.