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IV. Tä­tig­keits­be­richt des Lan­des­be­auf­trag­ten für die Informations­freiheit Sachsen-​Anhalt vom 1. Ok­to­ber 2014 bis 30. Sep­tem­ber 2016

14.2 Zu­gang zu Ka­bi­nett­vor­la­gen, -​protokollen und Ka­bi­netts­be­schlüs­sen

Wie trans­pa­rent darf bzw. muss Re­gie­rungs­han­deln sein, lau­tet eine der am schwie­rigs­ten zu be­ant­wor­ten­den Fra­gen des In­for­ma­ti­ons­frei­heits­rechts, zu der es bis­her noch nicht allzu viel Recht­spre­chung gibt.

Auf Sei­ten des In­for­ma­ti­ons­frei­heits­in­ter­es­ses steht das Be­dürf­nis zu er­fah­ren, wie Ent­schei­dun­gen der Re­gie­rung zu­stan­de kom­men. Las­sen sich ver­nünf­ti­ge Grün­de für diese fin­den? Haben Drit­te, ins­be­son­de­re Lob­by­is­ten, Ein­fluss auf sie ge­nom­men? Hätte es Al­ter­na­ti­ven ge­ge­ben? Das sind nur ei­ni­ge Fra­gen, die sich stel­len.

Dem­ge­gen­über ist es ver­fas­sungs­recht­lich an­er­kannt, dass der Kern­be­reich exe­ku­ti­ver Ei­gen­ver­ant­wor­tung der Re­gie­rung ge­schützt blei­ben muss. Ihm ist vor­ran­gig im Rah­men der ge­setz­lich nor­mier­ten Ver­sa­gungs­grün­de Rech­nung zu tra­gen; falls sich gleich­wohl Schutz­lü­cken auf­tun soll­ten, ist auf ver­fas­sungs­un­mit­tel­ba­re Gren­zen des In­for­ma­ti­ons­an­spruchs zu­rück­zu­grei­fen (BVerwG, Ur­teil vom 3. No­vem­ber 2011, Az.: 7 C 3/11, BVerw­GE 141, 122-133).

Zum Kern­be­reich exe­ku­ti­ver Ei­gen­ver­ant­wor­tung der Re­gie­rung ge­hört ins­be­son­de­re die Wil­lens­bil­dung der Re­gie­rung selbst, so­wohl hin­sicht­lich der Er­ör­te­run­gen im Ka­bi­nett als auch bei der Vor­be­rei­tung von Kabinetts-​ und Res­sort­ent­schei­dun­gen, die sich in res­sort­über­grei­fen­den und -​internen Ab­stim­mungs­pro­zes­sen voll­zieht. Um ein Mit­re­gie­ren Drit­ter bei noch aus­ste­hen­den Ent­schei­dun­gen der Re­gie­rung zu ver­hin­dern, er­streckt sich der In­for­ma­ti­ons­zu­gang – wie auch die Kon­troll­kom­pe­tenz des Par­la­ments – daher grund­sätz­lich nur auf be­reits ab­ge­schlos­se­ne Vor­gän­ge. Lau­fen­de Ver­hand­lun­gen und Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tun­gen sind zur Wah­rung ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Kom­pe­tenz­aus­übung der Re­gie­rung grund­sätz­lich ge­schützt (BVerwG, a. a. O.). Die in der Pra­xis an­zu­tref­fen­den Fälle be­tref­fen daher auch im We­sent­li­chen ab­ge­schlos­se­ne Vor­gän­ge.

Hier geht es im Kern um den Zu­gang zu Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en, Sprech­zet­teln von Mi­nis­tern, Ka­bi­nett­vor­la­gen, Ka­bi­nett­pro­to­kol­len und Ka­bi­netts­be­schlüs­sen.

In mei­nem II. Tä­tig­keits­be­richt zur In­for­ma­ti­ons­frei­heit (Nr. 6.3) hatte ich be­reits dar­ge­stellt, dass nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en nach Ab­schluss des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens grund­sätz­lich dem In­for­ma­ti­ons­zu­gang un­ter­lie­gen (vgl. BVerwG, a. a. O.). Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt war der Ar­gu­men­ta­ti­on der Mi­nis­te­ri­al­ver­wal­tung, dass die Wil­lens­bil­dung in­ner­halb der Re­gie­rung Scha­den nehme, weil eine nach­träg­li­che Pu­bli­zi­tät von Un­ter­la­gen, die der Vor­be­rei­tung eines Ge­set­zes dien­ten, auch künf­tig eine sach­lich för­der­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Be­tei­lig­ten hem­men könne, nicht ge­folgt. Es hatte dar­auf hin­ge­wie­sen, dass dies dem „Bild einer Mi­nis­te­ri­al­ver­wal­tung mit ge­rin­gem Selbst­be­wusst­sein“ ent­spre­che. Dies laufe auch dar­auf hin­aus, die ge­set­zes­vor­be­rei­ten­de Tä­tig­keit des Mi­nis­te­ri­ums ent­ge­gen der ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung zum Kern­be­reichs­schutz ganz ge­ne­rell den An­sprü­chen nach dem In­for­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz zu ent­zie­hen (BVerwG, a. a. O.).

Schlös­se man sich die­ser Po­si­ti­on an, würde dies dar­auf hin­aus­lau­fen, eine in­for­ma­ti­ons­frei­heits­recht­li­che Be­reichs­aus­nah­me für die Vor­be­rei­tung von Ge­set­zes­vor­la­gen durch die Re­gie­rung an­zu­er­ken­nen, die das In­for­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz de lege lata nicht vor­sieht (OVG NRW, Ur­teil vom 2. Juni 2015, Az.: 15 A 2062/12 be­stä­tigt durch BVerwG, Ur­teil vom 30. März 2017, Az.: 7 C 19/15). Dar­aus folgt, dass sich eine Re­gie­rung nach Ab­schluss des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens In­for­ma­ti­ons­zu­gangs­an­sprü­chen stel­len und Re­gie­rungs­ent­schei­dun­gen und -​positionen je­den­falls nach­träg­lich er­klä­ren muss (OVG NRW, a. a. O.). Die Recht­spre­chung hat daher auch einen An­spruch auf Zu­gang zu den Sprech­zet­teln eines Staats­se­kre­tärs an­läss­lich einer Sit­zung eines Land­tags­aus­schus­ses be­jaht, da es bei die­ser Sit­zungs­vor­be­rei­tung nicht um eine gu­ber­na­ti­ve Ent­schei­dung oder um eine Er­ör­te­rung im Ka­bi­nett selbst gehe, son­dern um die Er­läu­te­rung eines Ge­set­zes­vor­ha­bens. Nach Ab­schluss des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens sei die Ver­trau­lich­keit die­ser Be­ra­tun­gen nicht mehr schutz­wür­dig.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt weist fer­ner dar­auf hin, dass Ka­bi­nett­vor­la­gen je­den­falls bei ab­ge­schlos­se­nen Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren nicht dem Kern­be­reich der Exe­ku­ti­ve zu­zu­rech­nen sind, der ohne wei­te­re kon­kre­te Be­ein­träch­ti­gun­gen den Ver­trau­lich­keits­schutz des § 3 Nr. 3 b IFG des Bun­des ge­nießt. Ka­bi­nett­vor­la­gen stell­ten keine gu­ber­na­ti­ven Ent­schei­dun­gen dar und gäben aus sich her­aus auch kei­nen Auf­schluss über die ver­trau­lich zu be­han­deln­den Be­ra­tun­gen im Ka­bi­nett selbst. Das Ge­richt hat daher in dem von ihm zu be­ur­tei­len­den Fall einen An­spruch auf Zu­gang zu einer Ka­bi­nett­vor­la­ge be­jaht (BVerwG, a. a. O.).

Über einen Zu­gangs­an­spruch zu einem Ver­laufs­pro­to­koll einer Ka­bi­netts­sit­zung der Bun­des­re­gie­rung hatte das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Berlin-​Brandenburg zu ent­schei­den. Das Ge­richt ver­langt eine dif­fe­ren­zie­ren­de Prü­fung. Da­nach un­ter­liegt das über die Be­ra­tun­gen des Ka­bi­netts er­stell­te Ver­laufs­pro­to­koll dem Schutz des Kern­be­reichs exe­ku­ti­ver Ei­gen­ver­ant­wor­tung. Die Ge­wäh­rung von In­for­ma­ti­ons­zu­gang zu Vor­gän­gen, die den in­ners­ten Be­reich der Wil­lens­bil­dung der Re­gie­rung be­tref­fen, hängt von einer ein­zel­fall­be­zo­ge­nen Ab­wä­gung der ge­gen­läu­fi­gen Be­lan­ge ab (OVG Bln-​Bbg, Ur­teil vom 4. Mai 2017, Az.: 12 B 5.16). Im Rah­men der Gü­ter­ab­wä­gung ist zu be­rück­sich­ti­gen, dass ein frei­er und of­fe­ner Mei­nungs­aus­tausch in den Ka­bi­nett­sit­zun­gen eine un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung ist, um zwi­schen un­ter­schied­li­chen Po­si­tio­nen und In­ter­es­sen zu ver­mit­teln und po­li­ti­sche Kom­pro­mis­se er­zie­len zu kön­nen. Dies gilt auch und ge­ra­de bei Vor­ha­ben, die be­reits im Vor­feld von Ka­bi­nett­be­ra­tun­gen kon­tro­vers dis­ku­tiert wer­den und auch nach Ab­schluss der Be­ra­tun­gen rechts­po­li­tisch um­strit­ten blei­ben (OVG Bln-​Bbg, a. a. O.). Des­halb muss sich das In­for­ma­ti­ons­in­ter­es­se im kon­kre­ten Fall als hin­rei­chend ge­wich­tig er­wei­sen, um einen Ein­griff in den in­ners­ten Be­reich der Wil­lens­bil­dung der Re­gie­rung recht­fer­ti­gen zu kön­nen.

Nach der Recht­spre­chung be­trifft die Teil­neh­mer­lis­te einer Ka­bi­nett­sit­zung nicht die Wil­lens­bil­dung der Re­gie­rung, so­dass sie nicht vom Schutz des Kern­be­reichs exe­ku­ti­ver Ei­gen­ver­ant­wor­tung er­fasst sein kann. Für das Bun­des­recht wurde ent­schie­den, dass sie auch nicht der in § 22 Abs. 3 Satz 1 GOB­Reg an­ge­ord­ne­ten Ver­trau­lich­keit der Sit­zun­gen der Bun­des­re­gie­rung un­ter­liegt. Das OVG Berlin-​Brandenburg ver­weist dar­auf, dass die Ge­schäfts­ord­nung nur den ei­gent­li­chen Vor­gang der Be­ra­tung und Ab­stim­mung schüt­ze, wes­halb die Teil­neh­mer­lis­te von vorn­her­ein nicht dem Schutz der Ge­schäfts­ord­nung un­ter­fal­len könne (OVG Bln-​Bbg, a. a. O.). Nach der Recht­spre­chung des VG Ber­lin han­delt es sich dar­über hin­aus bei der Ver­trau­lich­keits­re­ge­lung in der Ge­schäfts­ord­nung der Bun­des­re­gie­rung nicht um eine ge­setz­lich ge­re­gel­te Ver­trau­lich­keits­pflicht i. S. d. § 3 Nr. 4 IFG des Bun­des, weil sie rei­nes Bin­nen­recht dar­stellt, das keine un­mit­tel­ba­re Bin­dungs­wir­kung nach außen ent­fal­tet (VG Ber­lin, Ur­teil vom 25. Fe­bru­ar 2016, Az.: 2 K 180.14, vgl. auch Nr. 14.8).

So­weit er­sicht­lich waren Ka­bi­netts­be­schlüs­se nicht Ge­gen­stand der o. g. Ent­schei­dun­gen. Mit einem Ka­bi­netts­be­schluss wird die Wil­lens­bil­dung in­ner­halb der Re­gie­rung ab­schlos­sen, sie hat nun­mehr eine Ent­schei­dung ge­trof­fen. Es ist nicht er­sicht­lich, dass diese schutz­be­dürf­tig sein könn­te. Viele Bun­des­län­der haben daher in ihren In­for­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zen ge­re­gelt, dass Ka­bi­netts­be­schlüs­se in ihrem In­for­ma­ti­ons­re­gis­ter zu ver­öf­fent­li­chen sind (vgl. § 11 Nr. 1 HmbTG).

Ka­bi­netts­be­schlüs­se der Lan­des­re­gie­rung Sachsen-​Anhalts soll­ten in dem In­for­ma­ti­ons­re­gis­ter (Ein­rich­tung bis zum 31. De­zem­ber 2018 ge­plant) ver­öf­fent­licht wer­den.