III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt
vom 1. Oktober 2012 bis 30. September 2014
9.7 Einsicht in die Verträge des Landes Sachsen-Anhalt zu den Kosten für die Anschaffung von Grippemitteln
Die Petenten hatten beim Ministerium für Arbeit und Soziales einen Antrag auf Informationszugang betreffend die Bevorratung des Grippemedikaments Tamiflu gestellt. Dem Antrag wurde vom Ministerium zunächst teilweise stattgegeben. Der Antrag auf Auskunft, wo die gekauften Dosen gelagert wurden, sowie der Antrag auf Zugang zu dem Inhalt der vertraglichen Regelungen mit den Pharmafirmen unter Übersendung von Kopien wurden jedoch abgelehnt. Die teilweise Ablehnung der Anträge wurde vom Ministerium im Wesentlichen damit begründet, dass die in den Verträgen enthaltenen Klauseln zum Lagerungsort einer vertraglich vereinbarten Geheimhaltungspflicht unterlägen. Diese schließe auch die Konditionen und die Details betreffend der Einlagerung der Arzneimittel ein. Eine Übersendung von Vertragskopien wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es sich in Teilen der Vertragsinhalte um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Vertragspartners handele. Das Unternehmen habe auch durch den Hinweis auf die vertragliche Geheimhaltungsklausel implizit erklärt, dass es in den beantragten Informationszugang nicht einwillige. Darüber hinaus könne die Bekanntgabe des Lagerortes die öffentliche Sicherheit gefährden (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 IZG LSA).
In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde den Petenten mitgeteilt, dass gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten erhoben werden könne.
Die Petenten legten gegen die Ablehnung ihrer Anträge nicht Klage, sondern Widerspruch ein und trugen vor, dass dieser fristgemäß erfolgt sei, da wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung des Ablehnungsbescheids die Ein-Jahres-Frist aus § 58 Abs. 2 VwGO gelte. Die Petenten trugen ferner vor, dass die in dem Bescheid genannten Ausschlussgründe weggefallen seien, da die Herstellerfirma in einem anderen Fall die Weitergabe der Kaufverträge inzwischen gestattet habe.
Nachdem sich in der o. g. Angelegenheit monatelang nichts getan hatten, wandten sich die Petenten, die ich schon im Vorfeld beraten hatte, erneut an mich. Im Rahmen meiner Prüfung bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen:
Die teilweise Ablehnung der Informationszugangsanträge unter Berufung auf eine entgegenstehende vertraglich vereinbarte Geheimhaltungspflicht ist rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung sowie der h. M. in der Literatur sind entsprechende Vertraulichkeitsvereinbarungen nach § 134 BGB ggf. i. V. m. § 59 VwVfG nichtig (für die Rechtsprechung: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 31. Oktober 2013, Az.: 1734/13.Z; ähnlich OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2010, Az.: 13a F 32/09, Entscheidung später bestätigt durch das BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011, Az.: 20 F 14/10; für die Literatur: Schoch, IFG, 2009, § 6 Rn. 64); Berger/Partsch/Roth/Scheel, IFG, 2. Aufl. 2013, § 3 Rn. 147).
Die Ablehnung der Übersendung des Kaufvertrags in Kopie unter der pauschalen Berufung auf entgegenstehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse war schon aus formalen Gründen rechtswidrig.
Die Rechtsprechung hat entschieden, dass jeder angeführte Ausschlussgrund einzelfallbezogen, hinreichend substantiiert und konkret dargelegt werden muss (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Oktober 2010, Az.: 12 B 6.10, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 3. November 2011, DVBl. 2012, 176, vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, NVwZ 2011, 880). Die in der Ablehnung zum Ausdruck kommende Vorstellung, dass aufgrund der Vertraulichkeitsvereinbarung auch automatisch vom Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auszugehen sei, genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Prüfung des Tatbestandsmerkmals nicht, zumal das Ministerium in seinem Ablehnungsbescheid selbst eingeräumt hatte, dass nur für einen Teil des Vertragswerks Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überhaupt in Betracht kommen könnten.
Fraglich war im Übrigen auch, ob es sich bei den begehrten Informationen tatsächlich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt. Unter solchen versteht man Tatsachen, die sich auf einen bestimmten Gewerbetrieb beziehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind, nach dem erkennbaren Willen des Betriebsinhabers geheim werden sollen und hinsichtlich derer der Betriebsinhaber ein berechtigtes wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse hat. Nachdem der Hersteller sich jedenfalls mit der Herausgabe eines ähnlichen Vertrags durch das Bundesministerium für Gesundheit einverstanden erklärt hatte, war es zumindest fraglich, ob noch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung bestand. In diesem Zusammenhang müsste auch das nach dem IZG LSA vorgesehene Beteiligungsverfahren nach § 8 IZG LSA durchgeführt werden, auf das zuvor verzichtet wurde.
Die teilweise Ablehnung des Antrags unter der pauschalen Berufung auf den Ausschlussgrund der öffentlichen Sicherheit genügte den zuvor dargestellten Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegung von Ausschlussgründen ebenfalls nicht.
Auch war der Widerspruch fristgemäß eingelegt worden. Es lief die Ein-Jahres-Frist aus § 58 Abs. 2 VwGO, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt wurde. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 IZG LSA sind gegen die ablehnende Entscheidung Widerspruch und Verpflichtungsklage zulässig. Ein Widerspruchsverfahren nach den Vorschriften der VwGO ist nach § 9 Abs. 3 Satz 2 IZG LSA auch dann durchzuführen, wenn die Entscheidung von einer obersten Landesbehörde getroffen wurde. § 8a des Ausführungsgesetzes zur VwGO findet keine Anwendung. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, die die Antragsteller auf den Klageweg verwies, war demnach offensichtlich unrichtig.
Auf meine Bitte um Stellungnahme hin hat mir das Ministerium für Arbeit und Soziales mitgeteilt, dass den Petenten die gewünschten Informationen erteilt worden sind.