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IV. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informations­freiheit Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2014 bis 30. September 2016

16.11 Einsicht in ein Gutachten zur Evaluierung der JVA Burg als PPP-Projekt in der Betriebsphase

Unter einem Gutachter versteht man eine Person, die auf einem bestimmten Gebiet eine gewisse Fachkunde besitzt. Es gehört zu seinen Aufgaben, ein Gutachten fachgerecht zu erstellen und dieses gegenüber jedermann mit seiner Fachkompetenz zu verteidigen. Eine Behörde, die ein Gutachten in Auftrag gibt, will nicht nur das Gutachten gegenüber jedermann verwenden können, sondern auch, dass der Gutachter seine Ergebnisse kompetent darlegt und rechtfertigt. Sowohl der Gutachter als auch die auftraggebende Behörde müssten generell ein Interesse haben, dass das in Auftrag gegebene Gutachten prinzipiell einsehbar ist. Nicht so im folgenden Fall:

Der Petent hatte Zugang zu dem Bericht einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Evaluierung der JVA Burg als PPP-Projekt in der Betriebsphase beim Ministerium für Justiz und Gleichstellung beantragt.

Dieses hat den Antrag jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass dem vom Antragsteller begehrten lnformationszugang der Schutz geistigen Eigentums Dritter entgegenstehe. Bei dem Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handele es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne von §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 Urheberrechtsgesetz (UrhG). Nach § 12 UrhG habe der Urheber das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhG in Verbindung mit §§ 16 und 17 UrhG stehe dem Urheber zudem das ausschließliche Recht zu, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen und das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Der Urheber könne gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 UrhG einem anderen das Recht einräumen, das Werk auf einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen. In dem mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geschlossenen Vertrag über die Evaluierung des Betriebes der JVA Burg sei dem Land Sachsen-Anhalt zwar ein einfaches Nutzungsrecht an dem Bericht eingeräumt worden, welches das Recht zum Gebrauch und zur Gebrauchsüberlassung des Berichtes innerhalb der relevanten Landesbehörden und der Projektgesellschaft Justizvollzug Burg GmbH & Co. KG umfasse. lm Weiteren sei jedoch vertraglich ausdrücklich vereinbart worden, dass das Land Sachsen-Anhalt ohne die vorherige Zustimmung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht berechtigt sei, die durch diese erstellten Unterlagen an Dritte weiterzugeben. Damit sei das dem Land Sachsen-Anhalt eingeräumte Nutzungsrecht dahingehend beschränkt worden, dass eine Veröffentlichung des Berichtes, eine Verbreitung von Vervielfältigungsstücken des Berichtes und jede sonstige Weitergabe des Berichtes oder von Vervielfältigungsstücken an außerhalb der Landesverwaltung oder der Projektgesellschaft stehende Dritte der vorherigen Zustimmung bedürfe. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft habe einer Weitergabe des Berichtes an den Antragsteller nicht zugestimmt.

Darüber hinaus wurde der Antrag wegen entgegenstehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Projektgesellschaft Justizvollzug Burg GmbH & Co. KG i. S. d. § 6 Satz 2 IZG LSA abgelehnt. Der Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft enthalte vertragliche Detailinformationen zum PPP-Projekt JVA Burg, insbesondere konkrete Angaben über die Art, den Umfang und die Qualität der Leistungserbringung sowie die sich hieraus ergebenden Vergütungsansprüche der Projektgesellschaft. Darüber hinaus ließen sich dem Bericht Informationen über die Betriebsführung, die Organisation und die Prozessabläufe sowie die Entgeltgestaltung des privaten Partners entnehmen. Dementsprechend könnten aus dem Bericht Rückschlüsse auf die Kalkulationsdaten zum PPP-Projekt JVA Burg und damit auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Projektgesellschaft gezogen werden. Eine Einwilligung in die Preisgabe der Daten habe die Projektgesellschaft nicht erteilt.

Der Antragsteller hat gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch eingelegt und mich um Vermittlung gebeten. Ich habe die vollständige Ablehnung des Informationszugangsantrags des Antragstellers schon aus formalen Gründen für rechtswidrig gehalten, da durch das Ministerium die angeführten Ausschlussgründe nicht einzelfallbezogen, hinreichend substantiiert und konkret dargelegt worden waren (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Oktober 2010, Az.: 12 B 6.10, bestätigt durch BVerwG,
Urteil vom 3. November 2011, DVBl 2012, 176; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, NVwZ 2011, 880).

Der Ausschlussgrund des geistigen Eigentums setzt, wenn ein entgegenstehendes Urheberrecht geltend gemacht wird, das Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werkes voraus. Eine Kollision des Informationsfreiheitsrechts mit dem Urheberrecht scheidet folglich von vornherein aus, wenn die amtlichen Unterlagen gar kein urheberrechtlich geschütztes Werk darstellen (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Einleitung, Rn. 361 mit Verweis auf den III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt, Nr. 8.3).

Werke i. S. d. Gesetzes sind solche der Literatur, Wissenschaft und Kunst, die als persönliche, geistige Schöpfungen zu qualifizieren sind. Es ist daher in der Praxis zunächst eine Prüfung der Werkseigenschaft vorzunehmen. Bei Gutachten oder Schriftsätzen bemisst sich die Frage des hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrads nach der konkreten Gestaltung im Gesamtvergleich gegenüber anderen Gestaltungen. Erforderlich ist ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1986, Az.: I ZR 213/83 sowie III. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit, Nr. 8.3; Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 41). Dass das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Werksqualität erreicht, hat das Ministerium zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar dargelegt.

Unabhängig davon lässt sich die in dem Bescheid vorgenommene Auslegung des Urheberrechts nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vereinbaren. Dieses hat bereits entschieden, dass die bloße Einsichtnahme in ein Werk die urheberrechtlichen Verwertungsrechte von vornherein nicht berührt (BVerwG, NVwZ 2015, 3258 ff.). Das Urheberrecht schützt nämlich nicht den Inhalt des Werkes, sondern das Werk (Werkstück) in seiner konkreten Gestaltung. Zu unterscheiden ist danach zwischen dem urheberrechtlich schutzlosen Inhalt und der schutzfähigen Form eines Werks (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 6 Rn. 41). Die zwischen dem Ministerium und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft getroffene Vereinbarung bezweckt daher nicht den Schutz des Urheberrechts, sondern zielt auf den Ausschluss des Informationszugangs. Bei der Vereinbarung des Landes Sachsen-Anhalt mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, das Gutachten Dritten nicht zugänglich zu machen, handelt es sich daher in Wirklichkeit um eine sog. Vertraulichkeitsabsprache, denn sie verwehrt einem Antragsteller das ihm nach dem IZG LSA prinzipiell zustehende Einsichtsrecht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auch hier bereits entschieden, dass entsprechende Vertraulichkeitsvereinbarungen unwirksam sind (BVerwG, NVwZ 2016, 1014 ff.; vgl. Nr. 14.8).

Auch die einem Informationszugang entgegenstehenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wurden lediglich pauschal vorgetragen. Nach der ständigen Rechtsprechung sind unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge zu verstehen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03; BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2014; BGH, Urteil vom 4. September 2013 – 5 StR 152/13 jeweils m. w. N.). Betriebsgeheimnisse betreffen im Wesentlichen technisches Wissen; Geschäftsgeheimnisse kaufmännisches Wissen. Ein Interesse an der Nichtverbreitung ist nach der Rechtsprechung anzuerkennen, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Konkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 2013 – BVerwG 7 B 45.12 – juris Rn. 10 m. w. N.).

Die Argumentation, dass es sich bei den Informationen über die Art, den Umfang und die Qualität der Leistungserbringung etc. generell um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der PPP-Projektpartnergesellschaft handele, ist schon im Ansatz nicht überzeugend. Denn die genannten Informationen waren teilweise Gegenstand einer europaweiten öffentlichen Ausschreibung.

Das Ministerium für Justiz und Gleichstellung hat ferner noch vorgetragen, dass der Bericht auch Informationen über die Betriebsführung, die Organisation und die Prozessabläufe sowie die Entgeltgestaltung des privaten Partners enthalte, was Rückschlüsse auf die Kalkulation des privaten Partners zulasse. Dieser Vortrag ist zu unsubstantiiert. Entgeltregelungen waren schon Gegenstand der Rechtsprechung: So wurde in verschiedenen Fällen in einem Kaufpreis oder einem Mietzins kein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gesehen (BVerwG, Beschluss vom 24. November 2015, Az.: 20 F 4/14; OVG Berlin Brandenburg, Urteil vom 28. Januar 2015, OVG 12 B 13.13). Ist ein Kauf- oder Mietvertrag bereits abgeschlossen, können bei einer Angabe des Entgelts hinsichtlich des bestehenden Vertrags keine Nachteile eintreten. Es müsste daher konkret dargelegt werden können, dass das Bekanntwerden des Entgelts die Verhandlungsposition des Unternehmers bei zukünftigen Verhandlungen beeinträchtigen könnte. Die Rechtsprechung verweist dann aber darauf, dass die Vorgänge in der Regel überholt sein dürften und wegen des Zeitablaufs keine verwertbaren Rückschlüsse auf aktuelle Kalkulationen des Unternehmens zulassen dürften (BVerwG, Beschluss vom 24. November 2015, Az.: 20 F 4/14). Zumindest müsste dies konkret dargelegt werden. Hängt das Entgelt maßgeblich von den individuellen Gegebenheiten und weiteren Umständen des Einzelfalls, wie z. B. der jeweiligen Nachfragesituation ab, ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Offenlegung des Entgelts den Unternehmer bei anderen Verhandlungen mit Dritten benachteiligen könnte. Bei Pauschalbeträgen bzw. der Angabe einer Gesamtsumme hat die Rechtsprechung jedenfalls das Vorliegen eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses verneint, weil aus einem Pauschalbetrag oder einer Gesamtsumme schon keine Rückschlüsse auf die Kalkulation des Unternehmens gezogen werden können (BVerwG, Beschluss vom 24. November 2015, Az.: 20 F 4/14).

Der Antragsteller hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass das Land die Privatisierung der JVA Burg in Teilen rückgängig gemacht hat; es wurden bereits drei Dienstleistungsverträge mit dem privaten Betreiber gekündigt. Die Landesregierung will die teilprivatisierten Dienstleistungen vollständig in staatliche Hände zurückführen. Es lässt sich daher nicht auf Anhieb erkennen, dass nach den Kriterien der Rechtsprechung hier noch eine wettbewerbsrelevante Situation gegeben ist, zumal es sich auch um einen abgeschlossenen Vorgang handelt.

Ich habe daher das Ministerium gebeten, die Ablehnung des Antrags zu überprüfen. Das Ministerium hat dem Widerspruch des Antragstellers nicht abgeholfen. Meine Einschätzung, die Ablehnung sei formal rechtswidrig, treffe nicht zu, da ich zu enge Maßstäbe an die Begründungspflicht anlegen würde. Das Ministerium hat aber in seinem Ablehnungsbescheid die aus seiner Sicht vorliegenden Ausschlussgründe präzisiert, denn es finden sich in dem Bescheid erstmals Ausführungen zur Werkseigenschaft des Evaluierungsberichts sowie Angaben zum Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Von seiner Rechtsauffassung scheint das Ministerium aber selbst nicht ganz überzeugt zu sein, denn in dem Bescheid hat es dem Antragsteller auch mitgeteilt, dass das Urheberrecht und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einem jedenfalls teilweisen Informationszugangsanspruch im Wege einer Auskunft nicht entgegenstünden, sofern er nur präzise Fragen stelle.

Der Antragsteller hat vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben.

Der Fall ist auch ein typisches Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass solche Gutachten für ein großes Landesprojekt zwecks einer Kontrolle des staatlichen Handelns jedermann zugänglich gemacht werden. Damit wird ein wesentliches Ziel des Informationsfreiheitsgedankens verwirklicht.

Der Landtag hat die Landesregierung in einem Beschluss gebeten, bis zum 31. Dezember 2018 das Landesportal zu einem Informationsregister auszubauen. In dem Informationsregister sollen dann u. a. auch Studien und Gutachten veröffentlicht werden (LT-Drs. 7/1363). Die Landesregierung will dieser Bitte nachkommen. Dazu gehört dann grundsätzlich auch das Gutachten zur Evaluierung der Wirtschaftlichkeit der JVA Burg.

Bei solchen Vertragskonstruktionen empfiehlt es sich zur Vermeidung von etwaigen Konflikten mit dem Urheberrecht, dass sich die transparenzpflichtigen Stellen die Nutzungsrechte an potentiellen Werken einräumen lassen oder entgegenstehende Nutzungsrechte abbedingen, damit eine freie Nutzung, Weiterverwendung und Verbreitung möglich ist. Sachsen-Anhalt sollte den Vorbildern anderer Länder folgen und eine entsprechende gesetzliche Regelung treffen (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 3 Hamburgisches Transparenzgesetz; § 10 Abs. 2 Satz 2 Transparenzgesetz Rheinland-Pfalz).