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II. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012

7.3 Einsicht in Vergabeunterlagen beim Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr

Neben verschiedenen anderen Begehren hatte der Antragsteller beim Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Akteneinsicht in den Vergabevorgang Elektronetz Nord sowie Akteneinsicht in alle Vergabevorgänge des Schienenpersonennahverkehrs, die in den letzten beiden Jahren abgeschlossen wurden, begehrt.

Elektronetz Nord

Die Akteneinsicht in den Vergabevorgang Elektronetz Nord hatte das Ministerium zunächst unter Berufung auf die Beeinträchtigung eines anhängigen Vergabenachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer Halle i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 e) IZG LSA abgelehnt. Im Schriftsatz des Ministeriums wurde sinngemäß dargelegt, dass durch eine Bekanntgabe des Vergabevorgangs der prozessuale Grundsatz der Waffengleichheit vor Gericht verletzt würde, wodurch dem Land ein letztendlich wohl auch materieller Schaden drohe. Diese Argumentation ist, unabhängig von der Frage, ob es sich bei einem Vergabenachprüfungsverfahren um ein Gerichtsverfahren i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 e) IZG LSA handelt, angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung und h. M. in der Literatur nicht überzeugend. § 3 Abs. 1 Nr. 1 e) IZG LSA schützt nämlich nur das Gerichtsverfahren als solches. Demgegenüber wird die Verfahrens- und nachfolgend die materiell-rechtliche Position der öffentlichen Hand vom Schutzzweck des Ausschlussgrundes gerade nicht erfasst (BVerwG NVwZ, 2011, 235; Schoch, VwBlBW 2010, 333/337).

Insofern habe in diesem Punkt eine erneute Prüfung und Bescheidung des Antrags für erforderlich gehalten, bei der insbesondere auf die Frage eingegangen werden sollte, ob das IZG LSA angesichts des Vorliegens eines Vergabenachprüfungsantrags vor der Vergabekammer Halle überhaupt anwendbar ist. Während die Vorschriften der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder auf abgeschlossene Vergabeverfahren Anwendung finden (stellvertretend für andere Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2010, § 1 Rn. 190; VG Stuttgart, Urteil vom 17. Mai 2011, Az.: 13 K 3505/09), wird jedenfalls das IZG LSA in einem laufenden Vergabeverfahren gem. § 1 Abs. 3 IZG LSA durch die vergaberechtlichen Informationsrechte verdrängt. Im laufenden Vergabeverfahren wird insbesondere das in § 111 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) normierte Akteneinsichtsrecht als vorrangige Informationszugangsvorschrift mit Sperrwirkung begriffen (Schoch, IFG, 2010, § 1 Rn. 189).

Das Ministerium ist meiner Bitte um Überprüfung nachgekommen und hat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich um ein noch laufendes Vergabeverfahren handele, in dem das IZG LSA wegen des vorrangig anzuwendenden und Sperrwirkung entfaltenden § 111 GWB nicht zur Anwendung komme. Es hat daher den Antrag zu Recht abgelehnt. Da nach h. M. ein alter Informationszugangsantrag nach seiner Bescheidung nicht wieder auflebt (Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 1. Auflage 2008, § 4 Rn. 40), hat es sich bereit erklärt, den Petenten vom Abschluss des Vergabeverfahren zu unterrichten, damit er eine Entscheidung treffen kann, ob er erneut einen Antrag auf Informationszugang stellen will.

Abgeschlossene Schienenpersonennahverkehr-Vergabevorgänge

Das Ministerium hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass es den betroffenen Unternehmen nach § 8 Abs. 1 IZG LSA schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme geben müsste, da Anhaltspunkte vorlägen, dass sie ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss des Informationszugangs hätten. Es begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass die betroffenen Unternehmen angehört werden müssten, um feststellen zu können, ob es sich bei der maßgeblichen Information überhaupt um ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis handele. Der Dritte müsse in diesem Fall um Auskunft gebeten werden, ob er in die Preisgabe der Information einwillige. Diese Argumentation habe ich nicht für nachvollziehbar gehalten, da sich der Antragsteller nach § 7 Abs. 2 Satz 2 IZG LSA mit der Unkenntlichmachung der Informationen, in denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sein könnten, einverstanden erklärt hatte. Dadurch wird eine Konfliktlage gerade vermieden (Schoch, IFG, 1. Aufl. 2009, § 7 Rn. 67). Infolge der Unkenntlichmachung der fraglichen Informationen können schutzwürdige Interessen der betroffenen Unternehmen nicht verletzt werden. Auf eine Einwilligung des Dritten in die Preisgabe der Information kommt es nicht an, da eine Weitergabe dieser Information gar nicht gewünscht ist. Das Einverständnis des Antragstellers in die Unkenntlichmachung der Informationen gegenüber Dritten sorgt daher für eine Verfahrensbeschleunigung, weil das Beteiligungsverfahren nach § 8 IZG LSA entbehrlich wird (Schoch, IFG, 1. Aufl. 2009, § 7 Rn. 67). Um eine solche Verfahrensbeschleunigung ging es ersichtlich auch dem Antragsteller. Nach der von dem Ministerium angedachten Vorgehensweise wäre der Antrag dagegen so geprüft worden, als habe der Antragsteller unbeschränkt Zugang zu allen Informationen begehrt.

Auch die weitere Argumentation der Behörde, dass erst nach Beteiligung der betroffenen Unternehmen festgestellt werden könne, ob überhaupt ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vorliegt, war nicht überzeugend. Nach h. M. hat die für die Bescheidung eines Informationszugangsantrags zuständige Behörde eigenverantwortlich über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes zu entscheiden. Die Entscheidung, ob ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vorliegt, trifft also nicht das Unternehmen, sondern die Behörde. Nachdem der Antragsteller hinreichend zum Ausdruck gebracht hatte, dass er keinen Zugang zu Informationen, die ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis darstellen können, begehrt, dürfte es daher zulässig sein, wenn die Prüfung darauf beschränkt wird, ob die Informationen vernünftigerweise unter den Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses subsumiert werden könnten. Es steht dem Antragsteller ohnehin jederzeit frei, seinen beschränkten Antrag zu erweitern.

Das Ministerium hat ferner die Auffassung vertreten, dass eine Unkenntlichmachung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordere. Jeder Verkehrsvertrag sei durch die in die Verträge einbezogenen Anlagen mehrere hundert Seiten lang. Der Antrag müsse daher, falls der Antragsteller auf eine Einsicht ohne Beteiligung der betroffenen Dritten bestehen sollte, nach § 7 Abs. 2 IZG LSA wegen des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes abgelehnt werden.

Der von dem Ministerium vorgetragene Sachverhalt reichte nach der bisher ergangenen Rechtsprechung zum korrespondierenden Bundesrecht für eine Ablehnung des Informationszugangsantrags nach § 7 Abs. 2 IZG LSA nicht aus. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen bereits festgestellt, dass im Normalfall der durch einen Antrag absehbar verursachte Verwaltungsaufwand - auch nicht mit Rücksicht auf den bei der Aussonderung geheimhaltungsbedürftiger Vorgänge bzw. der Abtrennung und Schwärzung entsprechender Informationen in den maßgeblichen Akten und Aktenbestandteilen entstehenden Arbeits- und Kostenaufwand - den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 2 IFG Bund nicht begründen könne (VGH Hessen, Beschluss vom 30. April 2010, Az.: 6 A 1341/09, Rn. 21). Auch ein damit verbundener deutlich höherer Verwaltungsaufwand könne den Ausschluss des Informationszugangs nicht rechtfertigen. Die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit des Verwaltungsaufwands sei vielmehr erst überschritten, wenn durch die Art des Informationszugangsbegehrens oder seinem Umfang nach ein Verwaltungsaufwand nötig sei, der den bei üblichen Gesuchen an die Behörde verursachten Aufwand in solch deutlichem Maße übersteige, dass die Behörde das Gesuch letztlich nur durch außergewöhnliche Maßnahmen, insbesondere durch eine nicht nur vorübergehende Zurückstellung ihrer Kernaufgaben, bewältigen könne (VGH Hessen, Beschluss vom 2. März 2010, Az. 6 A 1684/08, Rn. 38).

Sei eine Behörde dagegen nach ihrem Aufgabenbereich typischerweise häufig auch mit umfangreicheren und inhaltlich schwierigen Informationszugangsanträgen konfrontiert oder müsse sie mit einer erheblichen Anzahl solcher Anträge rechnen, müsse sie sich - um dem gesetzlichen Auftrag zur Gewährung des Zugangs zu den bei ihr vorhandenen amtlichen Informationen nachzukommen - vielmehr organisatorisch und personell auf die Bewältigung dieser Anträge einstellen (VGH Hessen, Beschluss vom 30. April 2010, Az.: 6 A 1341/09, Rn. 23). Daher hat das Gericht, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Prüfung von 94 Aktenbänden mit ca. 15.000 bis 20.000 Seiten keinen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand gesehen (VGH Hessen, Beschluss vom 2. März 2010, Az. 6 A 1684/08, Rn. 25).

Nach den von dem Gericht aufgestellten Kriterien war angesichts des von dem Ministerium geschilderten Sachverhalts lediglich von einem (deutlich) höheren Verwaltungsaufwand auszugehen, der eine Ablehnung des Informationszugangsantrags nicht rechtfertigen würde. Dass das Ministerium bei Bearbeitung des Antrags seine Kernaufgaben nicht mehr erfüllen könnte, hatte es nicht vorgetragen. Dies war auch nicht ersichtlich. Als Ministerium, das u. a. auch komplexere und umfangreichere Vergabeentscheidungen zu treffen hat, muss es vielmehr auch mit inhaltlich schwierigeren Informationszugangsanträgen rechnen und sich auf diese einstellen.

Eine Ablehnung des Informationszugangsantrags unter Berufung auf § 7 Abs. 2 IZG LSA dürfte daher einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten, zumal der in Frage stehende Verwaltungsaufwand nicht zuletzt auch dadurch noch einmal reduziert wurde, dass der Petent seinen Antrag auf Einsicht in die Akten reduziert und sich mit der Unkenntlichmachung von Informationen, die schutzwürdige Interessen Dritter berühren können, einverstanden erklärt hat.

Das Ministerium ist meiner Rechtsauffassung gefolgt und hat dem Antragsteller den Informationszugang in dem beantragten Umfang schließlich gewährt.