III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt
vom 1. Oktober 2012 bis 30. September 2014
2.3 TTIP
Die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) sowie das Trade in Service Agreement (TISA) haben eines gemeinsam: Es handelt sich vereinfacht gesagt um geplante internationale Abkommen der EU zum Freihandel bzw. zu Dienstleistungen mit Nicht-EU-Mitgliedstaaten (wie z. B. den USA und Kanada), die als Rechtsquellen der EU Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht genießen. Ob die Abschlusskompetenz für die Verträge allein bei der EU oder auch bei den Mitgliedstaaten liegt, hängt von der Natur der Verträge ab. Die Kompetenz für den Abschluss sog. EU-reiner Verträge mit ungeteilten EU-Zuständigkeiten liegt grundsätzlich bei der EU; bei sog. gemischten Abkommen mit geteilten Zuständigkeiten ist eine Ratifizierung der Teile des Abkommens, die in nationaler Zuständigkeit liegen, durch alle Mitgliedstaaten erforderlich. Die Bedeutung entsprechender Abkommen ist natürlich immens, weil sie die EU und die nationalen Mitgliedstaaten binden. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das z. B., dass es nach dem Inkrafttreten der Abkommen grundsätzlich weder dem Bund noch den Ländern möglich ist, vom Vertragswerk abweichende Regelungen zu erlassen, sofern sich dies die Vertragsparteien im Vertrag nicht ausdrücklich vorbehalten haben. Solche Abkommen können daher zu einem erheblichen Bedeutungsverlust der nationalen Parlamente und damit auch der gewählten Volksvertretungen führen. Informationszugangsrechtlich sind die Abkommen ein Thema, denn die Verhandlungen sind bisher weitgehend geheim. Weder die Bürgerinnen und Bürger noch die nationalen Parlamente wurden ausreichend informiert.
Hinter den o. g. Freihandelsabkommen steht die Idee, durch den Abbau von Handelshemmnissen, die Anerkennung gegenseitiger Standards oder die Harmonisierung industrieller Normen Wirtschaftswachstum zu generieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Rechtsstreitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat sollen in gesonderten Schiedsverfahren geklärt werden. Die EU und die USA planen laut Medienberichten zudem die Einführung eines Rates zur regulatorischen Kooperation, in dem Gesetzesvorhaben eng mit Lobbygruppen abgestimmt werden sollen, ohne dass zuvor die nationalen Parlamente einbezogen werden sollen. Die Abkommen als solche betreffen keineswegs nur den Handel, sondern die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Berufs- wie Alltagsleben, wenn es um die Anerkennung von Standards, insbesondere auch im Umwelt-, Arbeits-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz geht. Da Europa und vor allem die Bundesrepublik Deutschland hohe Standards aufzuweisen haben, stehen die Abkommen hier in der Kritik, da z. B. ein sinkender Arbeitnehmerschutz oder die Einführung gentechnisch veränderter oder schlechterer Lebensmittel (das sog. „Chlorhühnchen“) befürchtet wurden, um nur einige markante Beispiele zu nennen. TISA soll nach Medienberichten mit dem Datenschutz kollidieren, weil Firmen erlaubt werden soll, Informationen aller Art außer Landes zu schaffen. In der EU gibt es gerade ernsthafte Anstrengungen, den Datenschutz durch eine neue Datenschutz-Grundverordnung zu regeln. Geplant ist damit, amerikanische Unternehmen den strengeren europäischen Datenschutzanforderungen zu unterwerfen. Die Ziele der Datenschutz-Grundverordnung könnten über ein solches Abkommen also konterkariert werden. Wegen dieser weitreichenden Bedeutung dieser Abkommen sollte man eigentlich annehmen, dass die Bevölkerung und ihre Volksvertreter Kenntnis vom Gegenstand der Verhandlungen sowie der eventuell vorliegenden Vertragstexte erhalten müssten, um auf die von der EU „in ihrem Namen“ geführten Verhandlungen Einfluss nehmen zu können. Fakt ist jedoch, dass die Verhandlungen der EU mit ihren potentiellen Vertragspartnern weitgehend geheim und intransparent waren. Die Bundesregierung musste in einer Kleinen Anfrage einräumen, dass die Verhandlungen so geheim waren, dass ihr die Dokumente der US-amerikanischen Verhandlungsseite zu TTIP nicht bekannt waren (BT-Drs. 18/1118).
Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat die entsprechenden Chancen eines Freihandelsabkommens gesehen und daher die Aufnahme von Verhandlungen im Rahmen von TTIP in einem Beschluss grundsätzlich befürwortet (LT-Drs. 6/2976). Er hat die Landesregierung gebeten, sich im Bund dafür einzusetzen, dass die geltenden Standards insbesondere in den o. g. Bereichen die notwendige Berücksichtigung erfahren. Der Landtag ist ferner der Auffassung, dass spezielle Investitionsschutzvorschriften aufgrund des hinreichenden Rechtsschutzes vor nationalen Gerichten nicht erforderlich sind. Bemerkenswert ist folgende Feststellung: „Der Landtag sieht die Notwendigkeit größtmöglicher Transparenz in den Verhandlungen für eine lebendige öffentliche Debatte, in der die Bürger vollständig über die Auswirkungen auf ihr tägliches Leben informiert werden.“
Nachdem zunächst das Abkommen zu CETA geleakt worden war, hat die EU-Kommission auch wegen des großen öffentlichen Drucks verschiedene Dokumente zu TTIP, zu denen „Fact Sheets“ und „kurze Positionspapiere“ gehören, veröffentlicht. Konkrete Vertragstexte zu TTIP sollen dagegen erst veröffentlicht werden, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind. Dann kommt aber eine Veröffentlichung schlichtweg zu spät, weil die Bürgerinnen und Bürger als die eigentlich Betroffenen keinen Einfluss mehr auf die Vertragsgestaltung nehmen können.
Dokumente zu TISA, das erhebliche Auswirkungen auf den Datenschutz haben könnte, wurden nach wie vor nicht veröffentlicht. Die Medien berichten, dass entsprechende Unterlagen erst 5 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens veröffentlicht werden sollen. Unter Transparenzgesichtspunkten bestehen daher nach wie vor erhebliche Defizite.
Es ist geboten, dass sich das Land beim Bund dafür einsetzt, dass der begonnene Schritt zu mehr Transparenz fortgesetzt und zukünftig auch auf andere Vorhaben und Abkommen erweitert wird.