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II. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012

6.8.5 Neuregelung im Rahmen der Evaluation

In der Gesetzesbegründung zur Einführung des IZG LSA nannte der Gesetzgeber als Gründe für die Aufnahme eines voraussetzungslosen Informationszugangsrechts die Wünsche der Menschen nach mehr Mitsprache beim Handeln der Verwaltung, nach mehr Transparenz sowie nach mehr bürgerschaftlicher Kontrolle und verwies darauf, dass Sachkenntnisse die entscheidende Voraussetzung für eine Beteiligung des Bürgers an staatlichen Entscheidungsprozessen seien (LT-Drs. 5/748, 103 kByte). Die in diesem Tätigkeitsbericht geschilderten Informationszugangsbegehren zu Sitzungsunterlagen des Gemeinderats (Nr. 6.8.1), zu Niederschriften der Protokolle öffentlicher und nicht-öffentlicher Sitzungen des Gemeinderats (Nr. 6.8.2), zu Verträgen einer Gemeinde mit Dritten (Nr. 7.1), zu Rechnungsprüfungsberichten der kommunalen Rechnungsprüfungsämter (Nr. 7.1) oder nach Live-Übertragungen von Gemeinderatssitzungen im Internet (Nr. 6.8.4) zeigen, dass die Einschätzung des Gesetzgebers richtig war. Gerade im Bereich der Kommunalpolitik wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger eine bessere Information und größere Transparenz, um an ihr aktiver teilnehmen und das Verwaltungshandeln besser nachvollziehen und kontrollieren zu können. Entsprechend weitgehende Informationszugangsrechte kennt das Kommunalrecht jedoch nicht. Nach der GO LSA darf ein Einwohner im Rahmen von Einwohnerfragestunden zwar Fragen stellen oder beantragen, dass bestimmte Angelegenheiten vom Gemeinderat behandelt werden sowie an öffentlichen Gemeinderatssitzungen teilnehmen. Das klassische Kommunalrecht sieht jedoch den Bürger, der sich aktiv informieren und mitgestalten, sich also selbst ein Bild durch die Einsicht von Unterlagen machen und die Verwaltung kontrollieren möchte, nicht vor. In einer vielzitierten Entscheidung aus Bayern - einem Bundesland, das wohlgemerkt kein Informationsfreiheitsgesetz besitzt - heißt es z. B. zur Einsicht in Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats, dass deren Zweckbestimmung nicht in der Unterrichtung der Allgemeinheit, sondern darin liege, "den Mitgliedern des Gemeinderates und der Verwaltung eine zuverlässige Grundlage für ihre weitere Tätigkeit zu geben" (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. März 2008, Az.: 4 BV 07.1329). Daraus folgert das bayerische Gericht, dass der Gesetzgeber eine Grundentscheidung dafür getroffen habe, dass Einwohner die entsprechenden Sitzungsprotokolle nur einsehen dürften, ein Recht auf Anfertigen von Ablichtungen damit jedoch nicht verbunden sei (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. März 2008, Az.: 4 BV 07.1329). Ob ein Einwohner eine Kopie des Sitzungsprotokolls bekommt, hängt daher vom Ermessen der Gemeinde ab. Ferner gibt die GO LSA den Bürgerinnen und Bürgern bis heute kein Recht, wesentliche amtliche Unterlagen, wie z. B. Verträge, Prüfungsberichte der kommunalen Rechnungsprüfungsämter oder Genehmigungsentscheidungen der Kommunalaufsicht, einzusehen (vgl. auch Nr. 7.1 dieses Tätigkeitsberichts).

Im Gegensatz zu Bayern besitzt Sachsen-Anhalt ein Informationsfreiheitsgesetz. Nimmt man die Ziele des Gesetzgebers ernst, mehr Mitsprache beim Handeln der Verwaltung, mehr Transparenz sowie mehr bürgerschaftliche Kontrolle zu gewährleisten, dann muss dies insbesondere auch für das Kommunalrecht gelten, da hier die für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Sofern im Kommunalrecht keine Regelungen über die Akteneinsicht oder Auskunft getroffen wurden, also keine vorgehende Reglung i. S. d. § 1 Abs. 3 IZG LSA existiert, kann das Informationsfreiheitsrecht zur Anwendung kommen. Problematisch wird die Auslegung der Rechtslage z. B. dann, wenn im Kommunalrecht eine Einsichtsregelung existiert, die unterschiedlich ausgelegt werden kann. Die Einsicht in die Sitzungsprotokolle der Gemeinden ist solch ein Fall. Während ich in den Vorschriften der GO LSA keine abschließenden Regelungen sehe, die das IZG LSA verdrängen, vertritt das Innenministerium die gegenteilige Auffassung, der noch die in dem bayerischen Urteil zum Ausdruck kommende Grundhaltung zugrunde liegt, dass Protokolle öffentlicher Sitzungen des Gemeinderats nicht der Information der Öffentlichkeit dienten. Bei einer solchen restriktiven Auslegung werden jedoch die Ziele des Gesetzgebers regelrecht konterkariert, weshalb ich ein Umdenken für notwendig halte.

Ich sehe daher auf Seiten der Politik Handlungsbedarf und rege an, in die GO LSA bzw. in das geplante Kommunalgesetzbuch eine klarstellende Vorschrift aufzunehmen, nach der Ansprüche auf Zugang zu Informationen nach dem IZG LSA von den Vorschriften der GO LSA nicht beschränkt werden. Damit ließen sich die kommunalrechtlichen Informationsregelungen, wie z. B. die Regelung der Einsicht in Sitzungsprotokolle, ohne Weiteres als Regelungen eines Mindestinformationsstandards begreifen, die z. B. durch individualrechtliche Informationszugangsanträge erweitert werden können. Angesichts der zuvor geschilderten Streitfragen sollte im Rahmen der Evaluation das Verhältnis des IZG LSA zur GO LSA gesetzlich eindeutig geregelt werden, um auf Anwendungsebene für Rechtssicherheit zu sorgen.

Erleichtert werden sollte m. E. auch der bereits bestehende Anspruch auf Einsicht in Verträge, die eine öffentliche Stelle - also auch Gemeinde - mit Dritten schließt, durch eine Klarstellung, dass eine Berufung auf entgegenstehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wegen des überwiegenden Informationsinteresses der Allgemeinheit nicht in Betracht kommt, wenn der der private Vertragspartner ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. Andere Bundesländer haben dazu in ihr Landesrecht bereits entsprechende Vorschriften aufgenommen, vgl. § 7 IFG Bln oder § 6a IFG Bremen.

Um Live-Übertragungen von Gemeinderatssitzungen im Internet zu ermöglichen, sollte eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, nach der die Städte und Gemeinden in ihrer Hauptsatzung selbst bestimmen können, ob sie die Internetübertragung der Sitzungen ihrer Kommunalparlamente zulassen (vgl. zur Freiwilligkeit auch die Entscheidung des VG Kassel, Beschluss vom 7. Februar 2012, Az.: 3 L 109/12.KS).

Insgesamt sollte dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach mehr Information und Beteiligung auf kommunaler Ebene durch informationszugangsfreundlichere Regelungen Rechnung getragen werden. Ich gehe davon aus, dass ich in meiner Doppelfunktion als Landesbeauftragter für die Informationsfreiheit und den Datenschutz vom Innenministerium bei seinen Reformüberlegungen noch beteiligt werde.