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II. Tä­tig­keits­be­richt des Lan­des­be­auf­trag­ten für die In­for­ma­ti­ons­frei­heit Sachsen-​Anhalt vom 1. Ok­to­ber 2010 bis 30. Sep­tem­ber 2012

2.1 Das Anti-​Counterfeiting-Trade-Agreement und die In­ter­net­frei­heit

Das Bei­spiel des ge­schei­ter­ten mul­ti­la­te­ra­len Han­dels­ab­kom­mens Anti-​Counterfeiting-Trade-Agreement (ACTA, deutsch: Anti-​Produktpiraterie-Handelsabkommen), mit dem Pro­dukt­fäl­schun­gen und In­ter­net­pi­ra­te­rie be­kämpft wer­den soll­ten, zeigt zum einen, dass die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger keine Ge­heim­ver­hand­lun­gen ihrer Re­gie­run­gen wol­len, die in Ab­kom­men ein­mün­den, die sie vor voll­ende­te Tat­sa­chen stel­len. Ohne den Bür­ger geht es nicht, kom­men­tier­te sinn­ge­mäß eine große deut­sche Wo­chen­zeit­schrift das Schei­tern. Zum an­de­ren haben die Pro­test­stür­me der In­ter­net­ge­mein­de gegen ACTA deut­lich ge­macht, dass Ein­grif­fe in die Internet-​ und In­for­ma­ti­ons­frei­heit nicht durch­ge­setzt wer­den kön­nen, wenn sie nicht nach­voll­zieh­bar dar­ge­stellt und daher von der Be­völ­ke­rung als ein­sei­tig oder will­kür­lich emp­fun­den wer­den:

Ein grund­sätz­li­ches Pro­blem von ACTA war die man­geln­de Trans­pa­renz über den In­halt und das Zu­stan­de­kom­men des Ver­trags. Folgt man der deut­schen Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin, dann sah der Ver­trag, der Min­dest­stan­dards bei der Ver­fol­gung von Ur­he­ber­rechts­ver­stö­ßen re­geln soll­te, nichts vor, was über gel­ten­des deut­sches Recht hin­aus­ge­gan­gen wäre. Eu­ro­pa­weit war das Miss­trau­en gegen das von der Eu­ro­päi­schen Union, den USA und Japan und an­de­ren Staa­ten aus­ge­han­del­te Ab­kom­men groß, da nach An­sicht der Kri­ti­ker der Ver­trag über Jahre hin­ter ver­schlos­se­nen Türen ver­han­delt und die Re­ge­lun­gen zur Ver­fol­gung von Ur­he­ber­rechts­ver­stö­ßen im In­ter­net so vage for­mu­liert waren, dass sie viele In­ter­pre­ta­tio­nen mit po­ten­zi­ell un­er­wünsch­ten Fol­gen er­mög­lich­ten. Ein Kern­vor­wurf war, dass in das Ver­trags­werk unter Um­ge­hung der na­tio­na­len Par­la­men­te ein­sei­tig die In­ter­es­sen der Un­ter­hal­tungs­lob­by ein­ge­flos­sen seien, die über die In­ter­es­sen des Ge­mein­wohls ge­stellt wor­den seien. Eine Auf­wei­chung des Da­ten­schut­zes sowie Re­gle­men­tie­run­gen bis hin zu Zen­sur und In­ter­net­sper­ren, ins­be­son­de­re eine Sper­rung des In­ter­net­zu­gangs bei einem drei­ma­li­gen Ver­stoß gegen ur­he­ber­recht­li­che Re­ge­lun­gen (Three-​Strikes-Law), wur­den be­fürch­tet. Fer­ner wur­den feh­len­de Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten der Be­trof­fe­nen be­män­gelt. Un­klar war auch, ob ACTA nicht die Vor­stu­fe zu einem Ab­kom­men sein soll­te, das viel schär­fe­re Ein­grif­fe in die Frei­heit des In­ter­nets und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit im Be­son­de­ren brin­gen könn­te. So wies eine Zei­tung dar­auf hin, dass hin­ter ACTA be­reits "IPRED" (In­tel­lec­tu­al Pro­per­ty Rights En­for­ce­ment Di­rec­ti­ve), eine EU-​Richtlinie zur Durch­set­zung der Rech­te an im­ma­te­ri­el­len Gü­tern laue­re, mit der die stump­fen For­mu­lie­run­gen des ACTA-​Abkommens scharf ge­schlif­fen wer­den soll­ten.
Dass diese Bot­schaf­ten in der Po­li­tik an­ge­kom­men sind und diese die Be­fürch­tun­gen der Men­schen ernst nimmt, zeigt ein Be­schluss des Land­tags Sachsen-​Anhalt vom 23. Fe­bru­ar 2012, in dem sich der Land­tag für den Schutz geis­ti­gen Ei­gen­tums und die Wah­rung des frei­en In­for­ma­ti­ons­zu­gangs aus­ge­spro­chen hat (LT-​Drs. 6/849, 66 kByte). In die­sem be­tont der Land­tag, dass ein ef­fek­ti­ver Schutz geis­ti­gen Ei­gen­tums nur unter Ge­währ­leis­tung einer brei­ten ge­sell­schaft­li­chen Ak­zep­tanz ge­si­chert sei, und bringt seine Be­den­ken über die man­geln­de Trans­pa­renz beim Zu­stan­de­kom­men des ACTA-​Abkommens zum Aus­druck.

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber ist zu er­wäh­nen, dass es zu einer ge­richt­li­chen Klä­rung der Grund­rechts­kon­for­mi­tät des Ab­kom­mens nie­mals ge­kom­men ist, da der Druck der Be­völ­ke­rung, das Ab­kom­men zu stop­pen, zu groß war. Auf­grund der mas­si­ven Pro­tes­te in Deutsch­land gegen das Ab­kom­men hat die Bun­des­re­gie­rung die Ra­ti­fi­zie­rung an­ge­hal­ten, da sie das Votum des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments ab­war­ten woll­te. Die EU-​Kommission hatte den Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof um eine Prü­fung der Recht­mä­ßig­keit des Ab­kom­mens ge­be­ten. Das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment hat das Er­geb­nis der Prü­fung je­doch nicht mehr ab­ge­war­tet, son­dern das Ab­kom­men end­gül­tig ab­ge­lehnt.