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V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informations­freiheit Sachsen-Anhalt
vom 1. Oktober 2016 bis 30. September 2018

9 Empfehlungen für ein modernes Transparenzgesetz und dessen Umsetzung in der Rechtspraxis

In meinem IV. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit hatte ich 40 Empfehlungen für Rechtspolitik und Rechtspraxis ausgesprochen (vgl. Kapitel 10), die sich am informationsfreiheitsrechtlichen Standard im Bund und in den Ländern orientierten. Bedauerlicherweise hat die Landesregierung bisher nur einen rudimentären Teil meiner Empfehlungen aufgegriffen. Hierzu zählt z. B. die Aufnahme eines schmalen, nicht wirklich praxistauglichen Informationsregisters in das Landesrecht mit dem Gesetz zur Änderung des IZG LSA (vgl. Nr. 7.4). Dass dieses Gesetz keine große Reform, sondern lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem Transparenzgesetz sein sollte, hat die Landesregierung selbst eingestanden. 
 
Dabei scheut sie sich, den Begriff des Transparenzgesetzes allzu häufig zu verwenden. Stattdessen spricht sie lieber von einem Informationsfreiheitsgesetz, das das IZG LSA ersetzen soll. Der Begriff des Informationsfreiheitsgesetzes steht in der Fachwelt jedenfalls für ein Gesetz der älteren Generation, das auf einem mittleren Informationsfreiheits-Level stehen geblieben ist. Demgegenüber versteht man unter einem Transparenzgesetz ein Informationsfreiheitsgesetz der neueren Generation, mit dem ein deutlich höherer Informationsfreiheitsstandard erreicht werden soll. Entscheidend für die Qualität eines Gesetzes ist letztendlich aber nicht der Name, sondern der Inhalt.  
 
Der Entwurf des neuen Gesetzes soll nach den Plänen der Landesregierung bis zum Ende des Jahres 2019 entwickelt sein und im Jahr 2020 dem Landtag vorgelegt werden (LT-Drs. 7/4658, vgl. auch Kap. 6). Der Landtag hat die Landesregierung gebeten, meine Vorschläge aus dem IV. Tätigkeitsbericht in den Gesetzentwurf einzubeziehen (LT-Drs. 7/4429).  
 
Meine Empfehlungen aus dem IV. Tätigkeitsbericht sind auch noch aktuell, gerade weil die Landesregierung mit dem Gesetz zur Änderung des IZG LSA meine Anregungen nicht aufgegriffen und kein modernes Transparenzgesetz geschaffen, sondern den Status quo lediglich minimal verbessert hat. Die neuen Regelungen zum Informationsregister sind, worauf ich im Gesetzgebungsverfahren bereits hingewiesen hatte, schon jetzt optimierungsbedürftig. Das im Juli 2019 in Betrieb gegangene Informationsregister kann die an ein modernes Register gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Vor diesem Hintergrund habe ich meine bisherigen Vorschläge um zusätzliche, nicht abschließend gedachte Empfehlungen für ein neues Transparenzgesetz ergänzt. Ich biete der Landesregierung dabei erneut meine Unterstützung an:
    
          Zum Transparenzgesetz

  1. Das IZG LSA muss zu einem echten Transparenzgesetz mit einem gesetzlich geregelten Transparenzregister weiterentwickelt werden. 
    Das Register muss auch Umweltinformationen und Informationen zum Verbraucherschutz enthalten. Daher müssen das UIG LSA sowie das Ausführungsgesetz Sachsen-Anhalt zum Verbraucherinformationsgesetz mit dem IZG LSA in einem Gesetz zusammengelegt und harmonisiert werden. 

  2. Die Vorrangregelung des § 1 Abs. 3 IZG LSA sollte durch die informationszugangsfreundlichere Regelung des UIG des Bundes ersetzt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass das neue Transparenzgesetz neben anderen Informationszugangsregelungen zur Anwendung kommt.

  3. Es muss zudem gesetzlich klargestellt werden, dass öffentliche Stellen die Anwendbarkeit des Transparenzgesetzes nicht durch untergesetzliche Regelungen, wie z. B. Satzungen, ausschließen können. § 1 Abs. 3 und § 3 Abs. 1 Nr. 4 IZG LSA sind dahingehend zu überarbeiten.

    Zum Transparenzregister

  4. Das im Juni 2019 geschaffene Informationsregister erfüllt die Kriterien eines echten Transparenzregisters nicht.

    Es muss nach dem Vorbild anderer Bundesländer um zusätzliche verbindlich zu veröffentlichende Informationen erweitert werden. Aus dem abschließend ausgestalteten Katalog veröffentlichungspflichtiger Informationen muss außerdem ein offener Katalog werden, der darüber hinaus die Veröffentlichung jeglicher anderer geeigneter Informationen im Informationsregister zulässt (vgl. hierzu Nr. 7.4). Zu den Informationen, die in das Informationsregister aufgenommen werden sollten, gehören z. B. Kabinettvorlagen und Kabinettsbeschlüsse, Verträge jeglicher Art, insbes. Verträge zur Daseinsvorsorge, Subventions- und Zuwendungsvergaben, wesentliche Unternehmensdaten staatlicher Beteiligungen, Dienstanweisungen, veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen, Umwelt- und Verbraucherinformationen (vgl. die Hinweise zu meiner Stellungnahme zum Gesetz zur Änderung des IZG LSA, Nr. 7.4 mit weiteren Beispielen).

  5. Die neue Open-Data-Richtlinie der EU muss bis zum 17. Juli 2021 umgesetzt sein, d. h. der Bund wird das Informationsweiterverwendungsgesetz erneut ändern müssen. Die von der Richtlinie genannten hochwertigen Datensätze sollten in das Informationsregister des Landes aufgenommen und zum Massen-Download zur Verfügung gestellt werden.

  6. In das Transparenzgesetz ist eine Regelung nach dem Vorbild des § 12a EGovG des Bundes aufzunehmen, nach der im Transparenzregister neben aufbereiteten Informationen auch Rohdaten veröffentlicht werden müssen. Auf der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin hat sich Sachsen-Anhalt verpflichtet, dem Vorbild des Bundes zu folgen und ein entsprechende „Open-Data-Regelung“ zu schaffen. Ausnahmen für die Nicht-Zur-Verfügung-Stellung müssen begründet werden („Open Data by Default“).

  7. In das Gesetz sollte eine Regelung aufgenommen werden, nach der Informationen, die auf individuellen Antrag hin zugänglich gemacht wurden, auch im Informationsregister veröffentlicht werden (Access for one = access for all).

  8. Mit der Veröffentlichungspflicht der Behörden sollte ein Rechtsanspruch der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft auf die Veröffentlichung amtlicher Informationen einhergehen. 

  9. Im Sinne des Open-Data- und Open-Government-Gedankens ist eine Bedarfsermittlung der in das Register einzustellenden Informationen durch Abfrage bei Wirtschaft und Zivilgesellschaft vorzunehmen.

  10. Die amtlichen Informationen sind den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft zur freien Weiterverwendung zur Verfügung zu stellen.

  11. Aus dem Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung sollten insbesondere auch die Kommunen in das Transparenzregister verbindlich mit einbezogen werden. Im Zweifel ist gesetzlich vorzusehen, dass ihnen dadurch entstehende Mehrbelastungen ausgeglichen werden. (Die freiwillige Nutzung des Transparenzregisters durch die Kommunen würde zu einem informationsfreiheitsrechtlichen Fleckenteppich führen.)

  12. Da die Landtagsverwaltung dem Anwendungsbereich des IZG LSA unterfällt, sollte auch sie ihre Informationen im Transparenzregister veröffentlichen müssen. Das gilt insbesondere für die Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, die derzeit nur auf der Homepage des Landtages veröffentlicht werden.

    Das bereits öffentlich zugängliche Parlamentsdokumentationssystem des Landtages sollte in das Transparenzregister eingebunden werden.

  13. Es müssen klare Zuständigkeiten für die Veröffentlichung von Informationen im Transparenzregister geschaffen werden, um zu verhindern, dass aus Kompetenzstreitigkeiten gar keine Informationen, Informationen nur teilweise oder Informationen doppelt eingestellt werden.

  14. Im Transparenzregister ist eine Gliederung der Datenbestände nach Bereichen mit Schlagwortregister vorzunehmen. Bei Änderungen veröffentlichter Informationen muss eine Änderungshistorie vorgehalten werden, aus der sich neben jeder Änderung die jeweils vor und nach der Änderung geltende Fassung ergibt. In das Transparenzgesetz müssen Regelungen zur Löschung von Informationen aus dem Transparenzregister aufgenommen werden; entsprechende Regelungen fehlen bisher, Informationen können willkürlich eingestellt und auch wieder entfernt werden.

  15. Es muss im Transparenzgesetz selbst geregelt werden, dass die Informationen in offenen maschinenlesbaren Formaten zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass die Informationen mit anderen Informationen kombiniert werden und Mehrwerte erzeugt werden können. Daher müssen einheitliche Schnittstellen geschaffen werden.

  16. Informationen, die nach anderen Rechtsvorschriften als dem Transparenzgesetz zu veröffentlichen sind, sollten ebenfalls im Transparenzregister veröffentlicht werden.

  17. Es sollte eine Rückmeldefunktion geschaffen werden, die es allen Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, vorhandene Informationen zu bewerten und auf Informationsdefizite und -wünsche aufmerksam zu machen.

  18. Der Aufbau des Transparenzregisters sollte in gesetzlich festgelegten Stufen erfolgen. Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass ein Transparenzregister schrittweise aufgebaut werden sollte, damit die Behörden nicht überfordert werden. Der Gesetzgeber sollte daher über ein Stufensystem festlegen, welche Datensätze in welchem Umfang bis zu einem bestimmten Stichtag im Transparenzregister veröffentlicht sein müssen. 

  19. Für das Transparenzregister sind die notwendigen finanziellen Mittel durch das Land zur Verfügung zu stellen.  

  20. Das Land sollte sich mit seinem Transparenzregister am Bund-Länder-Online-Portal GovData beteiligen.

    Zu den Ausschlussgründen

  21. Nach der Zusammenlegung der Gesetze (IZG LSA, UIG LSA, AG VIG LSA) sollten sich die Ausschlussgründe an dem für die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall günstigeren Umweltinformationsrecht orientieren.

  22. Die Ausschlussgründe des IZG LSA bedürfen einer grundlegenden Überarbeitung, zumal einige Ausschlussgründe überflüssig sind oder sich überschneiden.  Beispielsweise ist die unterschiedlich formulierte Ausgestaltung des Schutzniveaus besonderer öffentlicher Belange inkonsequent, da sich aus ihr nicht ergibt, warum ein öffentlicher Belang besser oder abweichend geschützt werden muss als ein anderer (z. B. innere Sicherheit, § 3 Abs. 1 Nr. 1 b IZG LSA, und öffentliche Sicherheit, § 3 Abs. 1 Nr. 2 IZG LSA).

  23. Eine allgemeine Güterabwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse (public interest test) ist zusätzlich als Korrektiv erforderlich.

  24. Der Ausschlussgrund der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sollte an das besondere Informationszugangsrecht angepasst (UIG und VIG) und um eine Güterabwägungsklausel ergänzt werden. 

    Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob eine ausdrückliche Regelung zur Anwendbarkeit des Geschäftsgeheimnisbegriffs aus dem neuen Geschäftsgeheimnisgesetz des Bundes vorzusehen ist.

    Es sollte eine Regelung aufgenommen werden, nach der Dritte Informationen, die nach ihrer Auffassung Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, kennzeichnen müssen (vgl. § 71 EnWG).

  25. Bei dem Ausschlussgrund des Schutzes des geistigen Eigentums sollte klargestellt werden, dass die öffentlichen Stellen des Landes Sachsen-Anhalt verpflichtet sind, sich an Werken, die in ihrem Auftrag erstellt werden, die vollständigen Nutzungsrechte an dem Werk übertragen zu lassen. Entgegenstehende Nutzungsrechte müssen abbedungen werden. Die Regelung in § 11a Abs. 3 IZG LSA ist unzureichend, da sie nur für die Landesregierung und die Ministerien, nicht aber für die übrige unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung gilt.

  26. Die Bereichsausnahmen im IZG LSA, insbesondere für den Verfassungsschutz und die Finanzverwaltung, gehen zu weit und sollten in einem neuen Transparenzgesetz durch Abwägungsklauseln für Einzelfallprüfungen ersetzt werden.

  27. In das Gesetz sollte eine Regelung aufgenommen werden, nach der Staatsverträge so zu formulieren sind, dass die Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung finden, insbesondere auch auf juristische Personen unter Beteiligung des Landes Sachsen-Anhalt; dies sollte auch dann gelten, wenn die juristische Person ihren Sitz nicht im Land Sachsen-Anhalt hat.

    Sonstiges 

  28. Die Ablehnung von Anträgen muss nach dem Vorbild des UIG zukünftig gebührenfrei erfolgen. Im Transparenzgesetz sollte die Pflicht zur Erstellung von Kostenvoranschlägen verbindlich geregelt werden.

  29. Die Anforderungen an die Informationsfreiheit sind i. S. v. „Informationsfreiheit by Design“ bereits von Anfang an in die Gestaltung der IT-Systeme und organisatorischen Prozesse einzubeziehen (vgl. Anlage 8).

  30. In dem neuen Transparenzgesetz sollte die Möglichkeit der Schaffung eines behördlichen Informationsfreiheits- bzw. Open-Data-Beauftragten geregelt werden.

  31. In dem Transparenzgesetz sollten die öffentlichen Stellen verpflichtet werden, auf ihrer Homepage bei ihrem Serviceangebot auf das neue Transparenzgesetz hinzuweisen.

  32. In das neue Transparenzgesetz sollte eine Regelung aufgenommen werden, nach der das neue Gesetz durch einen unabhängigen Gutachter wissenschaftlich evaluiert werden muss.

    Zum Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit

  33. Die Aufgaben und Befugnisse des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit sollten in einer Vollregelung im Transparenzgesetz selbst geregelt werden. Dem Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit sollte eine Kontrollkompetenz für das bereichsspezifische Informationsfreiheitsrecht und damit insbesondere auch für das Umweltinformationsrecht gegeben werden. Dem Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit sind die entsprechenden personellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

  34. Der Landesbeauftragte für die Informationsfreiheit sollte eine Anordnungsbefugnis bekommen, um die Veröffentlichung von Informationen mit Verwaltungsakt durchsetzen zu können. Die Vorschrift ist erforderlich, um die rechtswidrige Nicht-Veröffentlichung von Informationen verhindern zu können.

  35. In Gerichtsverfahren sollte der Landesbeauftragte die Stellung eines Vertreters des öffentlichen Interesses erhalten, damit er die Gerichte entlasten und einen von ihm geprüften Vorgang auch im Prozess begleiten und seine Sachkunde einbringen kann.

    Rechtspolitik und Rechtspraxis

  36. Transparenz ist Ausdruck einer modernen, serviceorientierten Verwaltung. Jede Behörde sollte sich für ihr Selbstverständnis und zur Schaffung einer neuen Verwaltungskultur ein Transparenz-Leitbild geben. Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen, dass die Verwaltungen Schulungen zu einem neuen Transparenzgesetz und dessen Anwendungen benötigen.

  37. Die Strategie Sachsen-Anhalt digital 2020 sollte zu einer umfassenden E-Government-Strategie und Open-Government-Strategie fortentwickelt werden. Für Informationsfreiheit und Open Data bedarf es eines ganzheitlichen, nachhaltigen und verbindlichen strategischen Ansatzes und entsprechenden Vorgehens.

  38. Sollte das für Open Data zuständige Ministerium nicht bald einen Open-Data- und einen Open-Government-Aktionsplan für das Land Sachsen-Anhalt vorlegen, wäre eine solche Verpflichtung gesetzlich zu regeln.

  39. Sachsen-Anhalt braucht Modellkommunen für Open Government. Die regionalen Digitalisierungszentren sollten nicht nur Zentren für E-Government, sondern auch Zentren für Open Data und Open Government werden. Außerdem sollten regionale Open-Government-Labore geschaffen werden. 

  40. Das Land sollte Smart-City- und Smart-Region-Projekte fördern. Voraussetzung für die Förderung sollten überzeugende Open-Data-Konzepte unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft sein.