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III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit Sachsen-Anhalt
vom 1. Oktober 2012 bis 30. September 2014

3.6 Normenkontrollverfahren zu § 40 Abs.1a LFGB

Mit der Reform des Verbraucherinformationsrechts zum 1. September 2012 hat der Gesetzgeber als Reaktion auf die Lebensmittelskandale der letzten Jahre mit § 40 Abs. 1a Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) eine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Hygieneverstößen durch die zuständigen Behörden geschaffen.

Nachdem zahlreiche Bundesländer begonnen hatten, Verbraucherinnen und Verbraucher auf eigens dafür geschaffenen Internetplattformen über entsprechende Hygieneverstöße zu informieren, sind die Veröffentlichungen durch eine Reihe von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gestoppt worden. Nach Auffassung der Gerichte greift § 40 Abs. 1a LFGB unter anderem deshalb unverhältnismäßig in die Rechte der betroffenen Unternehmen ein, weil die Vorschrift schon bei geringen Verstößen eine Veröffentlichung zulasse und keine Grenzen für die Dauer der Veröffentlichung vorsehe.

Die niedersächsische Landesregierung hat daraufhin ein abstraktes Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in die Wege geleitet und beantragt, § 40 Abs. 1a LFGB für nichtig zu erklären (Az.: 1 BvF 1/13). Das Bundesverfassungsgericht hat mich in dem Verfahren um Stellungnahme gebeten. In meiner Stellungnahme habe ich darauf hingewiesen, dass in der rechtlichen Diskussion um die Prangerwirkung solcher Veröffentlichungspflichten die informationsfreiheitsrechtlichen Aspekte bisher zu kurz gekommen sind:

§ 40 Abs. 1a LFGB wurde im Zuge der Reform des Verbraucherinformationsrechts in das LFGB aufgenommen. Die Einführung der Vorschrift ist daher explizit auch unter informationszugangsrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Im Gegensatz zu der in weiten Teilen der Rechtsprechung und Lehre vertretenen Auffassung, dass mit der Einführung der Norm im Besonderen eine Sanktion für Gesetzesverstöße durch die mit der Veröffentlichung verfolgte Prangerwirkung beabsichtigt sei, hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung die Verbraucherinformation in den Vordergrund gestellt. Die Stichworte „Sanktion oder Prangerwirkung“ fallen in der Gesetzesbegründung jedoch nicht. Vielmehr verweist der Gesetzgeber – vereinfacht gesagt – darauf, dass der Verbraucher bei der Überschreitung gesetzlich festgelegter Grenzwerte, bei Täuschungs- oder Hygieneverstößen ein besonderes Interesse habe, zu erfahren, welche Lebensmittel betroffen seien und wer sie in Verkehr gebracht habe. „Damit werde auch dem Interesse der Verbraucher an verlässlichen behördlichen Informationen über das Marktumfeld Rechnung getragen“ (BT-Drs. 17/7374, S. 20.). Der Zweck der Norm liegt daher in der Information des Verbrauchers, damit dieser das Marktumfeld bewerten und eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann, ob er z. B. Kunde eines Unternehmens bleibt, dessen Lebensmittel unter Täuschung, Verstoß gegen Hygienevorschriften oder Grenzwerte in den Handel gebracht wurden oder ob er zu einem anderen Unternehmen wechselt. Neu ist im Wesentlichen die behördliche Verpflichtung zur Veröffentlichung, die der Gesetzgeber vor allem deshalb geschaffen haben dürfte, weil die bisherige Veröffentlichungspraxis doch als sehr zurückhaltend aufgefasst wurde (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Januar 2013, Az.: 13 ME 267/12, das darauf hinweist, dass im Vergleich zur alten Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers diese Verschärfung der Rechtslage explizit gewollt war).

Die vor allem in der Literatur zu bemerkende einseitige Hervorhebung der Prangerwirkung der Veröffentlichung der Information verstellt zudem den Blick darauf, dass die Information des Verbrauchers der einzige Weg sein dürfte, wie dieser von einem Verstoß erfahren, diesen beurteilen und als Betroffener sein zukünftiges Verhalten danach ausrichten kann. Ohne Transparenz und Information würde der Schutz unredlicher Unternehmen von vornherein höher gewichtet werden als der Schutz des Verbrauchers, der im ungewissen gelassen würde. Die Information ist zudem das einzige Mittel zum Schutz des Verbrauchers, da in der Praxis die betroffenen Lebensmittel zumeist in den Handel gelangt und dann oftmals verzehrt sind. Der Verbraucher kann also nur für die Zukunft reagieren. Dann aber dürfen dem Verbraucher keine entscheidungsrelevanten Informationen vorenthalten werden. Hinzuweisen ist auch darauf, dass im Verbraucherinformationsrecht Verstöße gegen Rechtsvorschriften gerade keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse begründen (vgl. § 3 Satz 3 und 4 VIG, wohl auch h. M. im Informationsfreiheitsrecht, vgl. Schoch, IFG, 2009, § 6 Rn. 57), also ein unredliches Unternehmen mit Blick auf eine Weitergabe der maßgeblichen Informationen insofern nicht schutzwürdig ist. Wieso soll der Verbraucher die Informationen dann nicht erhalten und von einem Unternehmen, das wiederholt gegen Gesetzesvorschriften verstößt, nicht zu einem gesetzestreuen Unternehmen wechseln dürfen? Information der Öffentlichkeit und Transparenz sind daher herausragend wichtige Güter.

Soweit die Veröffentlichung der Informationen i. S. d. § 40 Abs. 1a LFGB im Internet als unverhältnismäßig kritisiert wird, ist darauf hinzuweisen, dass das BVerfG in seinem Urteil zur Veröffentlichung von Informationen im Standortregister nach § 16a Gentechnikgesetz (GenTG) festgestellt hat, dass die Schaffung von Transparenz grundsätzlich einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten vermag und daher einen eigenständigen legitimen Zweck der Gesetzgebung darstellt (BVerfG, Urteil vom 24. November 2010, Az.: 1 BvF 2/05). Es hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass eine Veröffentlichung auch personenbezogener Daten im Internet zur Herstellung von Transparenz der allgemeinen Öffentlichkeit auch ohne weitere Zweckbindung verfassungsrechtlich nicht von vornherein zu beanstanden ist. Allerdings könnten Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten von Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 65, 1, 46).

Die Veröffentlichung der in § 40 Abs. 1a LFGB genannten Informationen gerade über das Internet dürfte daher vom Grundsatz her ebenfalls angemessen sein, da Lebensmittel nicht nur regional, sondern landes- bzw. sogar weltweit in den Handel gebracht werden. Auf andere Art und Weise dürfte eine sinnvolle Weitergabe der relevanten mit Lebensmitteln zusammenhängenden Informationen an den Verbraucher kaum möglich sein. Ausschlaggebend für die Verfassungsmäßigkeit des § 40 Abs. 1a LFGB dürfte daher die Frage sein, ob der mit der Veröffentlichung der in § 40 Abs. 1a LFGB genannten Daten verbundene Eingriff in das Recht auf Ausübung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG verhältnismäßig ist. Auch die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten hatte in ihrer Entschließung vom 27. Juni 2013 „Verbraucher durch mehr Transparenz im Lebensmittelbereich schützen – Veröffentlichungspflichten für Hygieneverstöße jetzt nachbessern!“ bereits Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des § 40 Abs. 1a LFGB geäußert und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung der Norm aufgefordert (siehe Anlage 6).

Die von der niedersächsischen Landesregierung in ihrem Normenkontrollantrag vertretene Auffassung, dass § 40 Abs. 1a LFGB den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenwärtige nicht genüge, weil die Norm die vorgesehene Information der Öffentlichkeit zeitlich nicht eingrenze, insbesondere keine Löschungsfristen vorsehe und auch keine verfassungskonforme Auslegung zulasse, halte ich jedoch nicht für zwingend. Zeitliche Grenzen für die Speicherung und Veröffentlichung der in § 40 Abs. 1a LFGB genannten Daten ergeben sich prinzipiell daraus, dass die Daten nur solange gespeichert und veröffentlicht werden dürfen, wie dies zur Erfüllung der behördlichen Aufgabe erforderlich ist. So hat das BVerfG in der oben erwähnten Entscheidung zum Standortregister nach dem GenTG darauf verwiesen, dass eine Löschung der in das Register eingestellten Daten dann geboten ist, wenn diese nicht oder nicht mehr zur Erreichung des gesetzlich vorgegebenen Zwecks erforderlich sind (BVerfG, Urteil vom 24. November 2010, Az.: 1 BvF 2/05, Rn. 199). Es ließe sich also durchaus argumentieren, dass die Veröffentlichung der in § 40 Abs. 1a LFGB genannten Daten nicht mehr erforderlich ist, wenn die Verstöße beseitigt und der mit der Information des Verbrauchers eingetretene Schutzzweck erreicht wurde. Starre gesetzliche Fristen könnten für ein Unternehmen, das Verstöße schon vor Ablauf einer solchen Frist beseitigt hat, sogar nachteilig sein.

Das OVG Lüneburg verweist m. E. nicht ganz zu Unrecht darauf, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 40 Abs. 1a LFGB bewusst auch eine Information des Verbrauchers bezweckt hat, wenn in der Zwischenzeit ein Verstoß durch das Unternehmen beseitigt wurde. Dem Gesetzgeber sei es erkennbar auch auf die nachträgliche Information der Verbraucher angekommen, um Verbraucher und redliche Unternehmen zu schützen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Januar 2013, Az.: 13 ME 267/12). Hinweis- und Aufklärungspflichten könne daher auch mit dem Hinweis Genüge getan werden, dass das Unternehmen entsprechende Mängel bereits beseitigt hat (OVG Lüneburg, a. a. O.).

Aus informationszugangsrechtlicher Sicht bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 40 Abs. 1a LFGB jedenfalls durchgreifende Bedenken, weil eine Veröffentlichungspflicht nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB schon bei Bagatellverstößen einsetzt (stellvertretend für andere BayVGH, Beschluss vom 18. März 2013, 9 CE 13.80) und damit die Eingriffsschwelle für die Veröffentlichung zu niedrig liegt.

Sieht man in der Verbraucherinformation einen maßgeblichen Zweck des § 40 Abs. 1a LFGB, dann dürfte die Veröffentlichung der dort genannten Informationen zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks durchaus geeignet und erforderlich sein. Der Eingriff in das Recht auf Ausübung der Berufsfreiheit i. S. d. Art. 12 GG und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte aber in keinem angemessenen Verhältnis zu den mit der Norm geschützten Gemeinwohlbelangen des Verbraucherschutzes, der Informationsfreiheit und der Transparenz stehen.

Zwar findet eine pauschale Veröffentlichung ohne nähere Differenzierungen, wie sie der EuGH bei der Veröffentlichung der Empfänger von Agrarsubventionen für unverhältnismäßig gehalten hat, nicht statt (EuGH, Urteile vom 9. November 2010, Az.: C-92-09 und C-93-09). Die Veröffentlichungspflicht knüpft nämlich an das Vorliegen eines hinreichend begründeten Verdachts an und differenziert auch nach der Schwere des Rechtsverstoßes bzw. nach der Wiederholung des gesetzeswidrigen Verhaltens („…in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist…“). Ob diese Differenzierungen den Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH, sofern diese übertragbar wäre, hier genügen würden, mag dabei dahinstehen. Jedenfalls erscheint mit Blick darauf, dass für Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften u. U. ein Bußgeld von bis zu 100.000 Euro verhängt werden kann (vgl. § 60 Abs. 5 LFGB), ein Schwellenwert für die Pflicht zur Veröffentlichung von nur 350 Euro für das prognostizierte Bußgeld völlig unverhältnismäßig (stellvertretend für andere BayVGH, Beschluss vom 18. März 2013, 9 CE 13.80). Vor allem ist die Norm in sich widersprüchlich, denn wenn die Veröffentlichung i. S. d. § 40 Abs. 1a LFGB an einen Verstoß nicht unerheblichen Ausmaßes anknüpft, kann die Schwelle für die Veröffentlichung nicht gleichzeitig bei einem (zu erwartenden) Bußgeld für eine Bagatelle ansetzen.